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Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman

Titel: Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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kommen und fand einen Torweg in der St. Olavsgate, wo ich mein mittlerweile ziemlich abwechslungsreiches Repertoire vom Stapel lassen konnte, Arme und Beine, Nasen und Schlund und nicht zuletzt der Mund, spuck auf die Erde, du Reisender des Satans, du Notto Fipp, mögen dich deine undankbaren Scheuerwunden zu Boden zwingen! Augenblicklich verbarg ich mein Gesicht in den Händen, erschrocken über meine eigenen Worte. Da hörte ich etwas direkt neben mir. Ich schaute durch die Finger. Es war ein Bettler, so ein Lumpenheini. Er war wohl vom Hinterhof hereingekommen. Jetzt stand er einfach nur da und starrte mich an. War es nicht möglich, in Ruhe gelassen zu werden? Nein, das war es nicht. Überall nur Lästermäuler. Ich warf ihm eine Zehn-Öre-Münze zu. Er fing sie geschickt auf und fuhr sich mit der Zunge um den Mund, schmatzte laut vernehmlich. Ich warf noch eine Münze, er schnappte sie sich, und genau das Gleiche wiederholte sich. Die grüne, fast schwarze Zunge fuhr über die Lippen und unter der Stumpfnase entlang, die mehr Geld witterte, während er wie eine Ente schmatzte. Das musste langsam genug sein. Ich ging das letzte Stück zum Rikshospital, Chirurgische Station A, und zog mich um. Der Tag verlief wie der Tag zuvor und der kommende Tag, mit anderen Worten wie üblich: Krankenberichte, Visiten, ein Todesfall, Weinen auf den Fluren. In einem anderen Flügel: Ein Kind wird geboren, Freude auf den Treppen. Es hält sich die Waage. Ich beklagte mich nicht. Aber kurz vor Schichtwechsel legte der Laborant seine Hand schwer auf meine Schulter, etwas, was bei ihm glücklicherweise nicht üblich war.
    »Und worauf freust du dich so riesig, Hval?«, fragte er.
    Ich verstand seine Frage nicht.
    »Worauf ich mich freue?«
    Der Laborant lachte.
    »Du schleckst dir den Mund und schmatzt wie ein Kind vor der Sahnetorte, Hval. Hast du eine Frau im Visier?«
    »Wie kommst du darauf? Nein! Ich bin verheiratet!«
    Ich wand mich aus seinem Griff, rannte auf die Toilette und fiel dort in mich zusammen.
    Eine neue Nummer in einer bereits ellenlangen Vorstellung: nachäffen.
    Ich sah ein, dass ich keine anderen Menschen mehr anschauen durfte. Wenn ein Patient hinkte, würde ich dann auch anfangen zu hinken? Es war nicht auszuhalten. Ich schlug in einem fort mit der Faust auf den Boden. Je größer das Verlangen, umso enger das Gefängnis. Ich nahm natürlich die Bahn hoch nach Besserud.
    Träumte von Notto Fipp: Er geht einen Weg entlang, der über eine Lichtung führt. Ich kann nicht sehen, wo. Ist es eine Stadt, ein Wald, Ruinen, eine Kathedrale? Er trägt den Frack, ist aber barfuß, und beide Füße sind blutig. Er geht weiter, immer langsamer, und er zieht eine glänzende rote Spur hinter sich her, bis er auf der anderen Seite der Lichtung verschwindet, in der Stadt, dem Wald, zwischen den Ruinen oder in der Kathedrale dort. Links im Traum steht ein Mann, weiß gekleidet, mit einem Licht in der Hand. Ein Hund läuft an ihm vorbei. Ist er es, oder bin ich es, wer sieht Notto Fipp verschwinden? Ich bin es. Ich bin es, der sie beide träumt. Abrupt wachte ich auf, setzte mich im Bett auf, feucht vom Schweiß, schmatzend, während ich meine Lippen blutig lecke. Sigrid hat sich im anderen Zimmer schlafen gelegt. Wieso kann ich mich so genau an diesen Traum erinnern, als hätte ich ihn in dieser Nacht geträumt, obwohl ich ihn doch vor fünfzig Jahren träumte? Weil es nicht lange dauern würde, bis ich genau verstand, was dieser Traum bedeutete, auch wenn das fachlich betrachtet, wie ich hinzufügen möchte, außerhalb meines Gebiets liegt und auch in den Kreisen, aus denen ich stamme, nicht ganz stubenrein ist.
    Ich träume ihn übrigens immer noch, aber in letzter Zeit hat er sich gedreht, vielleicht hat es dazu auch fünfzig Jahre gebraucht, jetzt bin ich derjenige, der barfuß und blutig über die Lichtung läuft, und niemand sieht mir zu.
    Aber ich möchte diese schmerzliche Wartezeit keinesfalls auswalzen, nur noch erwähnen, dass ich alles tat, was in meiner Macht stand, um nicht zu warten. Des Nachts wartete ich nicht. Ich wartete auch nicht den ganzen Tag. Ich studierte nicht die Zeitungen, um zu sehen, ob sie etwas Neues über Notto Fipp brachten. Ich saß nicht in der Deichmanske Bibliothek und blätterte sämtliche Regionalzeitungen durch, die ich finden konnte. Ich telegraphierte nicht an den Redakteur vom Fædrelandsvennen in Kristiansand und fragte ihn auch nicht, ob Notto Fipp dort unten auf den Straßen oder

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