Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman
der Küste. Ich sagte:
»Cum grando salis. Ja, das kann man wohl sagen!«
Als wir vor dem Kamin Kaffee und Cognac tranken, verteilten wir die Geschenke, die vom Heiligabend noch übrig waren. Tora gab ich gern noch einen Kuss auf die Wange, ich hatte ja nicht gewusst, dass sie hier war, ich Hornochse. Meinen Schwiegereltern konnte ich ein signiertes Exemplar von Lunds medizinischem Handbuch geben, das ich noch liegen gehabt hatte. Sie bedankten sich. Dafür bekam ich von ihnen ein Paar Skier, wahrscheinlich aus dem eigenen Laubwald. Sigrid packte den Tennisschläger aus, einen Lacoste, schlug ein paarmal in die Luft und befühlte die Saiten. Sie drückte mich an sich. Ich wünschte, damit wäre es überstanden gewesen. Wir, die Kantigen, mögen keine Geschenke. Wir geben gern, ja, keiner ist großzügiger als wir, aber wir nehmen nur ungern etwas entgegen, insofern wir nicht genau wissen, was wir bekommen. Wir hassen Überraschungen. Für meinen geliebten Bernhard von Sigrid. Ich hatte nichts in der Art geschrieben und war schon verlegen, bevor ich das Päckchen geöffnet hatte. Jedenfalls war es klein. Aber ich hätte es besser wissen müssen. Die kleinsten Dinge können am gefährlichsten sein. Ich öffnete es. Ein Zigarettenetui in Silber, so glänzend, das ich unvorbereitet mein eigenes mageres, kantiges Gesicht sah, dort hinter dem Monogramm und der Verzierung, ich wurde verführt, die Regel 6 zu brechen: die zusammengebissenen Kiefer, hart wie Holzklötze, die Lippen, die stramm gezogenen Lippen über den Zähnen, die bereits stumpf waren, Speichel in den Mundwinkeln, die Falten auf der hohen Stirn, wie mit einem Messer eingeritzt, mein tic convulsif, meine Augen, die auf und ab huschten, die Nasenflügel, mit den roten Blutäderchen von all dem Schnauben, das sah ich, in einem Zigarettenetui, ich, der ich nicht einmal rauche, jedenfalls selten, und ich dachte, dass das nicht stimmte, was ich im Auto auf dem Weg hierher gedacht hatte, was immer ich auch gedacht haben mochte, beispielsweise meine verborgene, verräterische Unlust, mich selbst weiterzupflanzen, aber was stimmte, das war die Tatsache, dass ich Sigrid liebte, oder zumindest nicht ohne sie leben konnte. Ich liebte Sigrid, weil sie es mit mir aushielt, mit all meinen Kapriolen, mit mir, der ich es kaum selbst mit mir aushielt. Was übrigens nichts an der Sache änderte. Ich sehe immer noch dieses Bild, das letzte, das ich von meinem Gesicht sah, ich werde es nicht los, ich trage es in Träumen mit mir, in Albträumen, zwischen Zeilen und in Gedankenfluchten, das gewölbte Portrait des kantigen Bernhard Hval im silbernen Monogramm. Ich schrie.
»Herzlichen Dank«, sagte ich.
Und umarmte Sigrid.
Um zwölf Uhr gingen wir hinaus, oder eher hinein, in das neue Jahrzehnt, die Dreißiger, die das Unerträgliche mit sich bringen sollten. Die Begeisterung war übertrieben, wir umarmten uns zu fest. Wir wünschten uns zu viel.
Im Januar kam Alma Lund mit einem gesunden Sohn nieder, im Karolinska-Krankenhaus von Stockholm. Ich verlor also meine Wette mit dem Kaiserschnitt, aber das hatten sowieso alle inzwischen vergessen. Dass die Geburt im Ausland stattfand, und dazu noch in Schweden, rief eine gewisse Kritik hervor, um nicht zu sagen, gewisse Gerüchte. War dem Direktor sein eigenes Krankenhaus nicht gut genug? So kleinkariert können Menschen sein. Ich hätte sie gern auf einer Raubank gehobelt, und wenn sie es mit mir zu tun gehabt hätten, nein, dann wären sie nicht mehr so sicher und überheblich gewesen, es würden nur noch Späne von ihnen übrig bleiben.
Anfang Februar 1930 tauchte übrigens Notto Fipp wieder auf.
EINE ÜBERREDUNG UND EINE HERAUSFORDERUNG
Ich war auf dem Weg zu einem einfachen Blinddarm, als ich Bescheid bekam, dass ein starrköpfiger und nicht besonders appetitlicher Patient, so formulierte die Krankenschwester es, mich zu sprechen verlangte, und zwar ausschließlich mich. Sein Name? Den wollte sie nicht herausrücken. Aber der drollige Kerl wartete in der Aufnahme. Niemand gibt Bernhard Hval Befehle! Das musste ein für alle Mal klar sein. Und als ich verstand, wieder laut der Krankenschwester, dass dieser Sturkopf nicht dem Tode nahe war und alle Gliedmaßen an der richtigen Stelle saßen, da ließ ich ihn warten, bis der Blinddarm entfernt war und ich den Schnitt wieder zugekleistert hatte. Anschließend ließ ich mir viel Zeit, um die Hände in so heißem Wasser wie möglich zu waschen, bevor ich hinunter zur Aufnahme
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