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Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman

Titel: Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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konnte mich mehr beschützen. Von Notto hörte ich übrigens kein Wort. Lange glaubte ich, dass ich ihn niemals wiedersehen würde. Wenn dem doch so gewesen wäre. Umso mehr dachte ich an ihn. Und wenn ich an ihn dachte, dann dachte ich an eine Revanche. Die Revanche wurde mein neuer Zwang, der alles andere verdrängte. Ich dachte daran, wenn ich die übel zugerichteten Leichen öffnete und ihre Eingeweide in eine saubere Reihe auf die Arbeitsplatte legte. Ich dachte daran, wenn mir die Landstreicher angeliefert wurden, die sich an dem sogenannten Blitzexpress, der aus Branntwein, Petroleum, denaturiertem Alkohol, Ingwer und Pfefferminztropfen bestand, zu Tode getrunken hatten, einem Cocktail, der dem, den ich in meinen finsteren Semestern, meinen verlorenen Studienjahren, getrunken hatte, nicht unähnlich war. Ich dachte daran, wenn ich totgeborene Kinder und getötete Kinder aufschnitt, die im Waschkessel mit Lauge ertrunken waren, mit einem Handtuch erwürgt oder an Papier erstickt waren, das ihnen in den Hals gedrückt worden war. Ich dachte daran, wenn ich bei einem erschlagenen Kind den Schnitt von Ohr zu Ohr quer über den Scheitel zog, jeden Knochen mit dem Periostkratzer enthäutete, die Sagittalnaht aufschnitt, das lakunäre Kranium mit einer kräftigen Schere kreisförmig aufschnitt und das kleine Gehirn heraushob, in dem kaum ein Gedanke sich hatte festsetzen können, nur Schmerzen. Ich dachte daran, während ich den Kiefer aufschnitt. Ich dachte daran, als ein fünfzehnjähriges Mädchen nach der Obduktion, die den Tod durch Ersticken bestätigt hatte, erklärte, dass die Geburt, die in aller Heimlichkeit stattgefunden hatte, zum Stillstand kam, als der Kopf sichtbar geworden war. Zunächst hätte sie versucht, das Kind mit den Händen herauszuziehen, aber als das nicht ging, hätte sie einen Schal genommen, ihn dem Kind, das mit dem Gesicht nach rechts lag, unter das Kinn gelegt, und so lange gezogen, bis das Kind losgekommen war, bereits zu dem Zeitpunkt tot. Ich fand eine breite Furche, acht Zentimeter lang auf der Vorderseite des Halses, auf der Höhe vom linken Ohr bis zum rechten Sternoklavikulargelenk. Aber wer hat das Recht, das Mädchen eine Mörderin zu nennen? Das ist nicht meine Aufgabe und steht mir nicht zu. Der Pathologe arbeitet nicht hinsichtlich jus civile oder jus talionis. Und wir bemühen auch nicht die Moral, um Ursachen oder Motive in ihr zu finden. Ich hätte sie zweifellos freigesprochen. Hatte sie denn nicht versucht, das Kind zu retten? Derjenige, der sie in eine derartige Einsamkeit verstoßen hatte, ihn hätte ich dagegen mit Freuden zu lebenslangen Qualen verurteilt. Ich dachte an eine Revanche, wenn ich zu Tatorten fahren musste, an denen sich die widerlichsten Verbrechen ereignet hatten, wie beispielsweise der Mord in der Bjerregårdsgate. Ein 24 Jahre alter Mann hatte seine 62 Jahre alte Mutter ermordet, nur weil sie wollte, dass er aufsteht. Er warf sie zu Boden und trampelte mit nackten Füßen auf ihr herum, besonders auf dem Kopf und dem Nacken. Sie lag mit dem Gesicht auf dem Boden. Und nach ungefähr einer halben Stunde gab sie kein Lebenszeichen mehr von sich. Bei der Leichenschau zeigten sich zahlreiche Schürfwunden, blutunterlaufene Flecken, oberflächliche Brüche und Wunden im Kopf, besonders im Gesicht. Mehrere Knochen im Gesicht waren gebrochen. Die Kopfhaut, inklusive galea aponeurotica, hatte sich in großen Bereichen von der Knochenhaut gelöst, und in den Zwischenräumen hatten sich große Blutmassen angesammelt. Auch am Hals gab es Blutungen an den Muskeln, im Bindegewebe, in den Faszien und am Kehlkopf. Vier Rippen, das Brustbein und drei Finger waren gebrochen. Aus den Verletzungen im Gesicht war viel Blut geflossen. Überall auf dem Boden fanden sich die Abdrücke nackter, blutiger Füße. Mutter und Sohn. Er wollte nur etwas länger schlafen. Es wurde viel über die Standhaftigkeit einzelner Personen gelacht. Ich lachte nicht. Ich dachte an eine Revanche. Ein 65 Jahre alter Kaufmann aus Kolbotn fügte sich zunächst mit einem kleinen Klappmesser mit einer ziemlich scharfen Klinge zahlreiche Stichwunden in der Stirn zu, ohne dass die Klinge durch das Stirnbein drang. Anschließend versuchte er sich die Radialpulsader aufzuschneiden. Doch auch das gelang ihm nicht. Dann stach er sich in die Herzregion. Einige dieser Stiche drangen auch durch den Brustkorb, in den Herzbeutel und den linken Lungenflügel, ohne das Herz oder die Lunge lebensgefährlich

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