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Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman

Titel: Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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mir einen schnellen Blick zuwarf, ohne eine Miene zu verziehen. Er ging wieder ins Haus und kam mit einer Art Besen und einem kleinen Werkzeug zurück, mit dem man Krümel und andere Reste nach der Mahlzeit von dem Tisch fegt, wenn nachlässige und ungeschickte Gäste zu Besuch waren. Und mit diesem Hilfsmittel bürstete und kratzte er das Gröbste ab. Dann zog er mir die einst weißen Handschuhe aus, machte ein Handtuch bereit, damit ich mir die Hände und das Gesicht in dem kalten Quellwasser waschen konnte, das seinen Ursprung tief unter dem Grund und Boden hatte und von dem die Familie Juell, besonders die Mutter, der Sie gleich begegnen werden, der Überzeugung war, dass es heilbringende Wirkung besaß. Als Arzt, und nebenbei als Bester seines Jahrgangs, konnte ich dem nicht unmittelbar zustimmen, begnügte mich aber damit, wenn das Thema zur Sprache kam, zu erklären, dass wir ohne Wasser verendet und dahingesiecht wären und die Erde wie eine Rosine im Universum vertrocknet wäre. Von dort bis zu der Behauptung, dass ein Fall von Ozaena, also Stinknase – ich erwähne dieses Beispiel, weil ich eine Weile überlegte, darüber meine Doktorarbeit zu schreiben –, gesunden würde, wenn dieses Körperglied in Juells Quellwasser getaucht würde, war es jedoch noch ein ziemlich weiter Weg. Was mich nicht daran hinderte, voll Freude Gesicht und Hände in genau diesem Wasser zu waschen, und es fehlte nicht viel, dass ich Frau Juell recht gegeben hätte. Ich fühlte mich sofort wie neu. Von dem Diener bekam ich das Handtuch überreicht und trocknete mich ab. Dann war ich fast präsentabel. Wir konnten hineingehen. Die Zimmer waren schattig und kühl. Eine breite Treppe führte hinauf in den ersten Stock. An den Wänden hingen Ölgemälde, die meisten mit Naturmotiven, Wald, Wald und noch einmal Wald, aber auch ein paar Portraits, die Ahnengalerie, und einen Moment lang überlegte ich, ob Sigrid und ich auch einmal dort hängen würden. Agnete Juell, meine zukünftige Schwiegermutter, wartete in der Bibliothek. Sie war eine kräftige, stattliche Dame, genau wie ihre Tochter. Sie besaß eine Rückhand, die selbst Männer fürchteten. Gerüchte besagten, dass sie in ihrer Jugend in einem Halbfinale in Madserud einmal den Schiedsrichter mit einem unglücklich angeschnittenen Ball an der Stirn getroffen hatte. Er lag drei Monate lang bewusstlos im Krankenhaus. Als Arzt kann ich sagen, dass der Schlag außerordentlich hart gewesen sein muss. Sie könnte auch eine kanadische Eiche mit bloßen Händen entästen, wenn das notwendig gewesen wäre.
    Der Tee war bereits serviert, und es lagen Kekse auf einem Teller und Schokoladenkugeln in einer Silberschale. Ich drückte Sigrids Mutter fest an mich. Hier draußen waren wir ganz leger.
    Dann setzten wir uns.
    »Ich sollte das Wasser in kleine braune Fläschchen abfüllen, ein Etikett draufkleben und es dann in Apotheken verkaufen«, sagte sie.
    Der Vater seufzte.
    »Agnete«, sagte er nur.
    Sie hörte nicht auf ihn.
    »Was meinst du dazu, Herr Doktor?«
    Wenn sie Doktor sagte, dann meinte sie mich.
    »Ich vertrete zwar die Schulmedizin, kann mir aber trotzdem vorstellen, dass Wasser eine heilende Wirkung haben könnte«, sagte ich. »Man denke nur an die Kneippkur.«
    Die Mutter sah zufrieden aus.
    »Da hörst du es, Einar. Der Doktor ist auf meiner Seite.«
    Der Vater schaute mich an.
    »Kneippkur? Was zum Teufel ist das denn?«
    »Eine besondere Wasserkur, mit Umschlägen, Eintauchen in heißes Wasser, Schlammbad und Herumlaufen in warmem, fließendem Wasser, erfunden von dem katholischen Priester Kneipp. Sehr beliebt in Bayern. Das war übrigens derselbe Mann, der dem Kneippbrot seinen Namen gegeben hat. Meine Mutter war mehrere Male dort. Ich meine, in Wörishofen. Bayern. Am liebsten ging sie barfuß in fließendem Wasser herum. Vielleicht könntet ihr hier ein Kurbad eröffnen. Juells Kur. Die Patienten könnten ja mit nackten Füßen im Quellwasser herumlaufen. Ich würde mich anbieten, mich darum zu kümmern.«
    Es blieb still.
    Dass ich mein Plappermaul nicht im Zaume halten konnte.
    Der Tee war kalt geworden, und einen Moment lang glaubte ich, das wäre meine Schuld. Ich redete so viel, dass der Tee kalt wurde. Aber dem war nicht so. Er sollte kalt sein. Das war eine neue Mode in den Salons, ich weiß nicht, woher sie stammte, vielleicht aus Indien, und sie hieß Eistee. Ich schüttete Zucker hinein, rührte um und trank, während ich zur Tür schaute und auf Sigrid

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