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Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman

Titel: Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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denn das wäre auf jeden Fall weniger schmerzhaft gewesen als das, was später noch folgen sollte. Das hätte ich tun sollen. Das hätte ich sagen sollen, so laut und deutlich wie nur möglich.
    Stattdessen sagte ich gar nichts, bis wir vor dem Haus und dem Springbrunnen vorfuhren, vor dem die Eltern glücklicherweise nicht standen.
    Da sagte ich:
    »Ich kann leider nicht mit reinkommen.«
    »Warum nicht?«
    »Ich muss einen Termin im Rikshospital wahrnehmen. Habe ich das nicht gesagt?«
    »Nein, das hast du nicht gesagt. Was für einen Termin?«
    »Aber so ist es. Ich muss. Den Termin wahrnehmen. Die Anstellung betreffend.«
    Ich log, heiliger Strohsack, und wie ich log, ich musste gar nicht zum Rikshospital, und Wunder über Wunder, Sigrid glaubte mir, zumindest tat sie so. Ich half ihr mit dem Gepäck, und sie gab mir einen Kuss auf die Wange, und ich knirschte mit keinem einzigen Zahn.
    »Ich bin stolz auf dich, mein Stutenprinz«, flüsterte sie.
    Dann sprang ich wieder ins Auto und fuhr, was das Zeug hielt, zurück nach Oslo, rief das eine oder andere in die frische Luft, Gamaschenschwanz und Klatschenfotze, aber ich holte Notto Fipp nicht wieder ein, und eine Weile glaubte ich, ich hätte ihn verpasst und diesen einzigartigen Menschen für immer verloren. Ich kam nach Hause, schwer niedergeschlagen, und brauchte viel Zeit, um hinter Sigrid aufzuräumen. Sie hatte die schlechte Angewohnheit, das meiste umzuräumen, und so konnte es nicht bleiben, Aschenbecher, Vasen, Flaschen, Tassen, sogar Stühle vertauschte sie, und es kostete einige Mühe, alles wieder an Ort und Stelle zu richten. So wachte ich beispielsweise eines Nachts jäh auf und wusste augenblicklich, dass etwas nicht stimmte, lief sofort wie ein schlaftrunkener Detektiv ins Wohnzimmer, und was sage ich, hatte ich es nicht gewusst, das Bild in Glas und Rahmen über dem Kamin hing schief, und sicher hatte auch hier Sigrid ihre Finger im Spiel gehabt. Ich richtete es gerade und kam endlich zur Ruhe. Das musste für den Moment genügen. Ich setzte mich in einen Sessel und mixte mir einen kräftigen Drink, auch wenn das rein fachlich nicht zu verantworten war, schließlich war es Nacht, und ich trug einen Pyjama. Andererseits tat der erste Schluck meinem Herzen wohl und hielt die Zunge fest im Mund, solange es währte. Übrigens handelte es sich bei dem Bild um eine Fotografie. Ich liege in Mutters Armen vor dem Haus auf Besserud. Sie trägt einen Hut mit einer so breiten Krempe, dass er auch auf mich seinen Schatten wirft. Ihre Taille ist schmal und fest, und sie lächelt, also kann es nicht Vater gewesen sein, der das Foto machte, wahrscheinlich war es unser Fahrer, dieser Melingen, in dem Herbst, in dem ich geboren wurde, also 1900, diese runde, verhöhnende Zahl. Und wenn man näher hinschaute, konnte man deutlich erkennen, dass ich bereits damals mit den Zähnen knirschte, obwohl ich noch gar keine Zähne zum Knirschen hatte, aber ich presse die Kiefer so fest aufeinander, dass mein Gesicht einer schrumpligen Kastanie ähnelt. Es war das einzige Mal, dass Mutter mich so hielt. Satans Schurkensohn! Dein Zambo! Der Drink war geleert, und ich ging, ohne zu zögern, zum Kamin und donnerte mit der Faust gegen die Wand, wo das Bild hing. Ich gab mir selbst, oder meiner Mutter, eins auf die Fresse, wie man so sagt, und das Glas verteilte sich wie spitzer Staub über das ganze Wohnzimmer. Glücklicherweise hatte ich noch mehr amerikanisches Pflaster, das ich auf die Knöchel kleben konnte, und den Rest der Nacht und noch drei Tage lang lag ich auf dem Boden und suchte Scherben, es nahm einfach kein Ende, sollte ich hier morgens oder abends barfuß gehen wollen, könnten fürchterliche Dinge mit mir geschehen oder mit Sigrid, wenn sie das nächste Mal hierherkam und alles in Unordnung brachte. Ich musste mit ihr darüber sprechen, dass alles so stehen bleiben musste, wie es stand, dort liegen bleiben sollte, wo es lag, und hängen, wo es hing. Nur so dreht sich die Erde weiter und löst sich nicht aus ihrer Bahn, um in das öde Universum zu stürzen. Es musste Regeln geben. Übrigens hing das Foto jetzt nicht mehr dort. Der Raum war umgekippt. Ich rollte aufs Sofa zu. Ich musste es wieder einrahmen lassen, auch wenn Mutter und ich fast makuliert waren. Doch daraus wurde nie etwas. Noch eine Nacht fand ich Schlaf, mit Hilfe der weißen Hunde, wie wir Studenten sie nannten, aber nicht mehr, als fachlich zu verantworten war. Dann kamen zwei Briefe, einer an

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