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Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman

Titel: Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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sagte Vater.
    Er warf die Tür so hart hinter sich zu, dass die Scheine auf dem Tisch hochflogen, und noch bevor sie wieder gelandet waren, öffnete er sie wieder und zeigte auf das Geld, das auf die weiße Tischdecke hinabsegelte, zwischen Gläsern, Bestecken, Tellern, Karaffen, Blumen und uns.
    »Und das kannst du Beate als Anerkennung geben! Tröiedüs!«
    Ja, tröiedüs!
    Deutlicher konnte es nicht gesagt werden.
    Habe ich übrigens schon erwähnt, dass Vater keinen Humor hatte, genauso wenig wie Gott, was übrigens nicht zu vergleichen ist? Vielleicht irre ich mich aber auch, was Vater betrifft, meine ich. Er hatte Humor. Aber er wusste selbst nichts davon, und deshalb war es für uns andere auch schwer, ihn zu entdecken, und er war umso leichter misszuverstehen.
    Lange, nachdem ich ins Bett gegangen war und schlaflos dalag, hörte ich, dass Mutter ein schlechtes Gewissen hatte. Ich hörte es an ihren Schritten. Sie ging zu Vater hinein.
    Am nächsten Abend fuhren wir mit dem Nachtzug nach Kopenhagen, wo wir den Zug wechselten und mit einem anderen Zug weiter nach München fuhren. Ich schlief die meiste Zeit. Träume huschten vorbei. Sie rochen nach Parfüm, Samt und Kohle. In München wurden wir von einem Wagen abgeholt und nach Wörishofen gebracht, genauer gesagt in das berühmte Kurbad von Monsignore Kneipp. Aber darüber werde ich vorläufig nicht mehr sagen.

EIN GENTLEMAN AUF DER VATERLANDSBRÜCKE
    Das ist einfach nicht gut.
    Nottos Worte erschreckten mich. Es musste ziemlich schlimm um ihn stehen, wenn er solche Worte von sich gab. Die Zeit war knapp. Die Zeit langer Umschweife war vorbei. Ich steckte alles, was ich an Medikamenten und Hilfsmitteln hatte, in die Tasche, nahm die Straßenbahn bis zum Stortorvet und ging entschlossen nach Grønland, zur Vaterlandsbrücke. Keine weiteren Umschweife! Kurs geradeaus! Die Zeit ist, wie gesagt, für uns alle knapp! Dennoch blieb ich einen Augenblick mitten zwischen dem Ost- und dem Westteil der Stadt stehen, schaute hinunter auf den dunklen Fluss, und mir fiel ein, was der Volksmund sagt, als Warnung, als Drohung, selbst auf Besserud hatte ich es gehört, heimlich auf dem Schulhof geflüstert, unter dem Hauspersonal, und hatte nicht Alfred es auch einmal erwähnt: Pass auf, sonst landest du auf der anderen Seite der Brücke. Was bedeutete das? Das bedeutete, ins Gefängnis gesteckt zu werden, in Botsen. Aber ich wollte trotz allem nicht dorthin, ich wollte zu Alvims Herberge, eine schiefe Bruchbude, in der es auch einen Tabakladen gab. Ich ging dort hinein, wo ich annahm, dass hier die Rezeption war. Eine stattliche Frau stand dort, die Ellbogen auf den Tresen gestützt, den Kopf in den Händen, sie hatte wenige oder gar keine Zähne, das Doppelkinn quoll zwischen ihren Fingern hervor – haben Sie um Gottes willen Nachsicht mit meiner vorurteilsvollen und aufdringlichen Präsentation. Ich war in fremdem Land. Und möchte im Namen der Gerechtigkeit nicht damit hinterm Berg halten, dass die Pensionsmutter mich und meinen Auftritt mit all dem Widerwillen musterte, der sich aus menschlichen Poren herauspressen lässt.
    Keine Umschweife!
    »Ist Herr Notto Fipp hier zu finden?«
    »Wenn noch etwas von ihm übrig ist. Und wer sind dann Sie?«
    »Ich bin sein Freund! Was haben Sie gesagt? Noch übrig?«
    Die Pensionsmutter lächelte breit mit dem leeren Mund.
    »Freund? Hat Notto so feine Freunde wie Sie, mein Herr?«
    »Ich bitte Sie geduldig, sich zu beeilen.«
    Sofort wurde die Pensionsmutter wieder misstrauisch. Ihr Gesicht war ein ganzes Laboratorium.
    »Sie sind doch nicht von der Polizei? Denn hier ist alles in Ordnung!«
    Jetzt wurde ich ungeduldig, ich begann zu zittern, versuchte es jedoch zu verbergen und hätte fast gerufen:
    Schlammfotze!
    Stattdessen streckte ich ihr die Hand entgegen.
    »Ich bin außerdem auch Notto Fipps Arzt. Bernhard Hval. Rikshospital. Könnten Sie mir sein Zimmer zeigen?«
    Die Pensionsmutter seufzte.
    »Gott sei Dank. Ich habe schon eine Zeitlang gefürchtet, ich müsste den Totengräber rufen.«
    Totengräber? Konnte diese Person nicht einfach geradeheraus und ohne Umschweife reden?
    Doch ich hielt mich im Zaume. Kurs geradeaus.
    Die Pensionsmutter öffnete eine Luke im Tresen, schob sich hindurch und ging mit mir in den ersten Stock, leichtfüßig, trotz ihrer Schwere. Ich war natürlich noch unruhiger geworden. War Notto Fipp am Rande des Todes? Am oberen Treppenabsatz stand ein Spucknapf. Viele hatten nicht getroffen. Darum

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