Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman
und betrachtete diesen Mann, der vom ersten Augenblick an so einen Eindruck auf mich gemacht hatte, vielleicht, weil er mein Spiegel war, er wusste, wer ich war, aber habe ich jemals erfahren, wer er war, und hatte ich jemals die Möglichkeit, ihm das zu sagen? Ich weiß es nicht. Deshalb schreibe ich das hier auf, damit Gerechtigkeit herrscht. Ich maß seinen Puls. Er war niedrig und gleichmäßig. Gut. Der Fuß war nicht länger derart angeschwollen. Auch gut. Die Pensionsmutter hatte sogar eine Schüssel mit abgekochtem Wasser ins Zimmer bringen lassen. Sehr gut. Ich wechselte den Verband, säuberte die Wunde, flößte ihm Rizinusöl ein, nahm bei der Gelegenheit selbst einen Schluck von dem Cognac und weckte somit Notto Fipp.
Es dauerte eine Weile, bis er bei sich war.
»Ich fühle mich immer noch dick«, sagte er.
»Das wird nicht mehr lange dauern.«
»Ich darf nicht so dick sein, wenn ich von Kristiansand hierhergehen will.«
Ich ließ ihn in aller Ruhe ausreden.
»Du willst von Kristiansand aus gehen?«
»Habe ich mir so gedacht, ja.«
»Und warum nicht in Oslo anfangen?«
»Weil es besser ist, den anderen Weg zu nehmen.«
Notto Fipp fing an zu jammern, und ich half ihm aus dem Bett, brachte ihn zu dem jämmerlichen Abtritt auf dem Flur, setzte ihn dort ab und wartete. Es ging seinen Gang. Ich musste ihm alte Zeitungen zerreißen und alles an Papier und Taschentüchern geben, was ich hatte. Doch alle wissen, welche Erleichterung es ist, endlich seinen eigenen Müll loszuwerden. Notto Fipp stand auf und kam als ein neuer Mensch heraus. Ja, er war augenblicklich bereit, wieder loszugehen. Einiges an Überredung und physischer Anstrengung waren nötig, um ihn zurück ins Zimmer und ins Bett zu bringen, wohin er vorläufig noch gehörte.
Er bekam Milch und leerte umgehend die Flasche.
»Wie willst du denn nach Kristiansand kommen?«
»Ich habe mir gedacht, mit dem Fahrrad zu fahren. Wenn der Fuß sich endlich wieder zusammengerissen hat.«
Ich sah ihn ungläubig an.
»Mit dem Fahrrad? Willst du erst von Oslo nach Kristiansand radeln und anschließend hin- und zurückgehen?«
»Ich kann die See nicht ab, und eine andere Mitfahrmöglichkeit kann ich mir nicht leisten.«
»Mein lieber Freund. Ich werde dich fahren. Beide Wege, wenn es denn sein muss.«
Notto Fipp schaute in meine Richtung.
»Das ist zu viel verlangt.«
»Das ist gar nichts. Dann haben wir endlich einmal Zeit, uns miteinander zu unterhalten.«
Plötzlich hob Notto Fipp seine Stimme.
»Nein, das wäre geschummelt.«
»Geschummelt? Wir können gerne einen Vertrag darüber aufsetzen, dass du nie einen Fuß in mein Auto gesetzt hast. Sind wir etwa keine ehrlichen Menschen? Wir müssen gar nicht miteinander reden. Ich gebe dir nur Bananen und Milch.«
Notto Fipp hob die Hand, und ich ergriff sie. Das genügte für unsere Abmachung.
»Warum tust du all das für mich?«, fragte er.
»Muss ich einen Grund dafür haben?«
»Ja, das musst du.«
Ich drückte seine Hand noch fester.
»Als der egoistische Mensch, der ich tief in meinem Inneren bin, möchte ich, dass du mir auch einen Dienst erweist.«
»Das würde eine große Freude für mich sein! Sag, was ich tun soll.«
»Ich möchte, dass du mein Trauzeuge bist.«
Notto Fipp ließ mich los und stand erschrocken auf, nein, vollkommen verwirrt stand er aus dem Bett auf.
»Dein Trauzeuge? Bei deiner Hochzeit?«
»Wenn du zusagst, wird mir eine Last von meinen Schultern genommen. Ich hoffe, der zwölfte September ist noch frei auf deinem Kalender.«
»Muss ich dann auch eine Rede halten?«
»Das musst du leider. Das gehört dazu.«
Notto Fipp schwieg eine ganze Weile, in sich versunken ließ er sich wieder aufs Bett sinken.
»Worte sind nicht gerade meine stärkste Seite.«
»Es müssen auch nicht viele sein«, sagte ich.
Ein zweites Mal nahm ich Notto Fipps Hand und erwähnte lieber nicht, dass der Schneider bei Franck im Bogstadveien ihn nach der neuesten Mode herrichten und der Friseur im Grand sein Haar richten und den Spitzbart, diese dünne, aber unverwechselbare Signatur trimmen würde, zu einem würdigen Abschluss des Gesichts.
»Ein Gentleman kann kommen, wie er will«, sagte ich.
IN DER ZWISCHENZEIT
Nach einigen wird Brot und eine Kur benannt, während andere stillschweigend übergangen werden und in Vergessenheit geraten. Das ist eine Verteilung, die ich nicht akzeptieren kann. Deshalb ist es mir ein Anliegen, auch in diesem Elogium Notto Fipp sichtbar zu
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