Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman
sind es, die Kantigen, die wir uns um all das Überflüssige auf der Welt kümmern. Wir tragen diese Bürde, damit die anderen frei von ihr sind. Es ist die Abwärme unserer Anstrengungen, die die Erde sich drehen lässt. Könnte nicht jemand zumindest einmal Danke sagen?
Ich habe sie schon früher erwähnt, die Gefahr, die damit verbunden ist, sich selbst zu finden, denn die meisten finden nicht das, wonach sie suchen, oder sie ertragen nicht das, was sie finden. Ich fand mich selbst in Kneipps Wasserbecken, am 28. August 1906.
Übrigens habe ich vergessen, unser schlechtes Gewissen zu erwähnen. Das muss als ein Teil unserer Vernunft hinzugefügt werden. Wir haben ständig ein schlechtes Gewissen. Wir tun unser Bestes, aber es ist nie gut genug. Das Gewissen bleibt, wie es ist. Verbirgt sich Gott darin, in dem Gewissen und allem, was dazugehört, nämlich die Scham und die Wut?
Trotzdem antwortete ich auf die Frage, warum ich die Zähne so zusammenbiss:
»Weiß ich nicht. Nein. Weiß ich nicht. Weiß. Weiß.«
Und dieser unbekannte Mann, von dem ich kein deutliches Bild zeichnen kann, weil ich ihm nie direkt in die Augen sah, etwas, was mich immer noch quält, er hielt meinen Kopf fest in seinen Händen, und ich ließ es geschehen.
»Denk an etwas anderes«, flüsterte er.
»An was?«
»Ganz gleich, an was, Bernhard. Vögel. Bäume. Berge. Das Erste, was dir einfällt.«
»Zahlen.«
»Wie weit kannst du zählen?«
»Bis zehn.«
»Bis zehn? Da bist du aber schon weit gekommen.«
Und so lernte ich zählen: Mein unbekannter Freund und Tröster malte Striche und Tabellen in das grüne Wasser. Besonderen Wert legte er auf die ungeraden Zahlen. Aber was er nicht wusste, war die Tatsache, dass es für uns nichts anderes gibt. Etwas anderes heißt nur, mehr auf sich zu nehmen, und wir haben schon mehr als genug. An etwas anderes zu denken, das ist nichts anderes, als noch mehr bedenken zu müssen, denn wir können nicht das fallen lassen, was wir bereits gedacht haben. Wir sollten lieber unser Bestes tun, um uns zu begrenzen, damit wir nicht überhandnehmen, und beispielsweise Notto Fipp ein Beispiel genau dafür sein lassen. Er hat den normalen Gang zu kostbarer und demütiger Schönheit verfeinert und erhöht, und das gelingt nur dem Unikum, dem Einzigartigen. Ich möchte Notto Fipp auf eine Stufe stellen mit Nansen und Amundsen, wenn ich die Letztgenannten nicht sogar eine Stufe unter ihm platzieren möchte.
Ach, du Paradiesfeige! Ich werde dich trommeln! Satan!
Der weißgekleidete Mann, dessen Gesicht ich nie sah, erhob sich und ging durch die Risse im Dampf zurück.
Seitdem habe ich oft an diesen Arzt denken müssen, er war der Erste, der mich sah, abgesehen davon, dass ich mich selbst bereits gesehen hatte, und das ist etwas ganz anderes, und ich denke gleichzeitig mit Dankbarkeit und Unruhe an ihn. Ich habe nämlich in dieser Angelegenheit einige kleine Untersuchungen machen lassen und herausgefunden, dass zu diesem Zeitpunkt kein Norweger bei Kneipps Kur in Wörishofen angestellt war. Der einzige norwegische Arzt, der diesen Ort häufig besuchte, war der großartige und leider idealistische Møinichen, aber das war zwei Jahre, bevor wir dorthin fuhren. War es nur ein Patient gewesen, der sich die Uniform des Arztes angezogen hatte, weißer Kittel und Sandalen? Aber im August 1906 gab es auch keine norwegischen Patienten, bis auf meine Mutter. Und ich konnte auch keine Berichte über deutsche Ärzte finden, die Norwegisch sprachen. Ich war also zu dem Schluss gekommen, dass es ihn gar nicht gab. Rein fachlich gesehen habe ich meine Schäfchen im Trockenen. Doktor Lund erwähnte häufig diese Zustände, die gewisse Menschen, insbesondere die begabtesten – wieder Doktor Lunds Worte, nicht meine eigenen – erleben können, im Guten wie im Schlechten, wenn die Schwingungen in dem sogenannten Seelenleben zu groß werden, und die er ganz einfach wache Träume nannte. Es kommt vor, dass ich immer noch diese Tür im Dampf sehe, durch die mich jemand beobachtet.
Ich wurde auf dem Rücken liegend im Becken gefunden, das Gesicht ragte gerade noch aus dem Wasser heraus. So lag ich schwebend da. Das Personal trug meinen blau angelaufenen Körper ins Haus und legte ihn in ein warmes Halbbad. Sie wandten Halswickel an und benutzten Johanniskraut, um wieder Leben in diesen Leib zu bringen. So bekam ich schließlich auch noch eine Behandlung nach Kneipps Kurvorschriften. Zum Schluss konnte ich meine Mutter
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