Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman
machen. Kneipp! Monsignore Johann Sebastian Kneipp, päpstlicher Kammerherr und Gemeindepfarrer in Bayern! Was ist nicht alles nach ihm benannt worden! Es gibt ihn in Bäckereien und Bibliotheken auf der ganzen Welt! Kneippbrot! Zum Wohle des Magens, des Bluts und der Zähne! Mein Testament! Natura sanat! Weniger tut es nicht. Welche Komik! Und dabei habe ich noch gar nicht die Sandalen erwähnt, die ebenfalls seinen Namen tragen. Es gibt bald in jeder Hauptstadt von Bedeutung eine Kneippkur, selbst in Oslo hat er eine Halle, die Kneipphalle im Midtstuen Sanatorium. Ich rechne damit, dass sie schon vor langer Zeit geschlossen wurde. Was hat er doch geschrieben, so demütig, in seinen gesammelten Werken, die er als nichts Geringeres als Mein Testament bezeichnet hat. Ja, genau. Gegen den Tod fließt kein Wasser. Kneipps Kur bestand mit anderen Worten aus Wasser, Wasser und nochmals Wasser, und dazu eine bestimmte Diät, die auf jeden Patienten einzeln zugeschnitten wurde, Gemüse, Obst, Quark, Sauerkraut, und selbstverständlich Brot, Kneippbrot. Sein Wahlspruch: einfach, gut, nahrhaft und billig. Doch das Wasser war Kneipps wahres Element, sein Werkzeug. Und dennoch konnte dieser Kammerherr und Gemeindepfarrer immer vollständige Heilung versprechen. Oh, päpstlicher Scharlatan! Ich werde dich ohrfeigen! Derjenige, der behauptet, immer recht zu haben, irrt sich am meisten. Derjenige, der am meisten verspricht, bricht seine Versprechungen am häufigsten. Dorthin reisten meine Mutter und ich im August 1906 also, zu Kneipps berühmter Kur in Wörishofen, während Notto Fipp noch im Tal der Schatten wanderte, als könnte er nicht der Dunkelheit von The Morgue entkommen.
Es war, wie ins Paradies zu kommen.
Der Dampf von den Becken und Wannen lag wie ein sanfter hellblauer Nebel über allem, und Menschen der unterschiedlichsten Façon, Frauen wie Männer, zeigten sich und verschwanden wieder, wie Gespenster oder Engel, einige fast nackt, andere in weißen Gewändern. Es sah aus, als gingen sie auf dem Wasser, und um alle kümmerten sich Ärzte und Bademeister, die treuen Schüler des verstorbenen Kneipp, und niemand sagte etwas, es war still, abgesehen von allem, das floss und nie ein Ende nahm, und das machte mich auf eine Art und Weise schläfrig, die ich nie zuvor gekannt hatte, und trotzdem konnte ich nicht schlafen, und die Zeit setzte aus. Ich trieb und ließ mich treiben. Eine Zeitlang war das herrlich. Wir wohnten in einem weißen, luftigen Zimmer. An den Abenden konnte ich die grünen Wiesen sehen, auf denen die Schafe grasten, und die steilen Felsen, die jedes Mal ihre Farbe wechselten, wenn eine Wolke vorbeizog. Dachte ich das damals oder erst jetzt zur schreibenden Stunde: Die Wolken sind stärker als das Gebirge. Dann wurde auch ich nervös, wenn ich es nicht schon längst gewesen war. Ich trieb nicht mehr. Ich sank. Ich hatte keine Zeit, an der ich mich hätte festhalten können. Jetzt waren wir zwei Patienten. Doch nur Mutter bekam eine Behandlung. Und man konnte nicht nur Wannenbäder oder Wässern bekommen. Hier gab es Schlammbäder, Umschläge, Abreibungen, Eispackungen, Wickel, Sturzduschen, Dämpfe, um nur einige der Methoden zu erwähnen. Kneipp war außerdem sehr an Füßen interessiert. Man konnte zwischen heißen und kalten Fußbädern wählen, Wechselfußbädern, Fußduschen und einfachen Fußbädern. Es war die Botschaft des Monsignore, dass an jeder Krankheit der gesamte Körper beteiligt war. Wenn Mutter im Kopf nervös war, konnte das durch Abhärtung der Füße kuriert werden, beispielsweise, indem sie fünf Minuten im kältesten Becken Wasser trat, um anschließend ebenso lange im Dampfbad zu sitzen, um danach wieder zurück zum Becken zu gehen. Das sollte in einem Umstimmen des Organismus resultieren. Wenn dem doch so gewesen wäre. Kneipps begeisterter Schüler, Dr. med. Albert Schalle, der selbst aus Wörishofen stammte, empfahl außerdem Heublumensäckchen auf dem Knie und nicht zuletzt die Anwendung von Lehm, sowohl im Umschlag als auch als Streupulver. Er behauptete Ozaena, also Stinknasen kurieren zu können, indem er bolus alba, weiße Tonerde, zwischen die Zehen legte. Ja, du natura sanat! Meine Mutter entschied sich jedoch für den spanischen Umhang. Das bedeutete, dass sie dick eingewickelt auf einer Bank in der frischen Luft lag, gerne mehrere Stunden lang. Es war übrigens eine riskante Kur, da geringere Wickelungen um einzelne Körperglieder leichter zu erwärmen sind. Mutter
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