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Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman

Titel: Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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Vater endlich die Dekoration um den Hals gehängt, mit der Inschrift, Recht und Wahrheit, die durfte er nur bei großen Anlässen anlegen, wie bei Galaauftritten, Staatsbesuchen, öffentlicher Trauer, siebzehntem Mai oder anderen Beerdigungen, sowie ein Etui mit einer Rosette darin, nicht größer als ein Marienkäfer, die er bei kleinen Anlässen am Revers tragen konnte, wie an Geburtstagen, Hochzeitstagen und im Krieg, damit niemand vergaß, wer er war. Dann war Vater an der Reihe, seinen Senf dazuzugeben. Ich möchte hier nur einzelne Zeilen einer Rede wiedergeben, die in ihrer Gänze höchstwahrscheinlich über das nationale Bruttosozialprodukt hinausging, aber sie war aufrichtig gemeint und kam von Herzen, wenn ich so einen Ausdruck verwenden darf, soviel soll zumindest gesagt sein: Vater dankte den Arbeitern. Ohne sie wäre er nichts. Vater dankte dem Königshaus, dem Parlament, dem Ministerpräsidenten, der Regierung und dem Industrieverband. Vater dankte Norwegen, Alfred, dem Schmied und dem Rest der Welt. Am gleichen Abend war er bei einer Audienz bei König Haakon VII . Dorthin ging nur Mutter mit. Und ich sage von Herzen vielen Dank, sowohl den Goten als auch den Wenden, dass ich es zumindest umgehen konnte, zwei Könige auf dem Gewissen zu haben. Ich blieb daheim mit der Nachtigall, Signe, und durfte lange aufbleiben.
    »Jetzt bist du sicher stolz«, sagte Signe.
    Wir saßen im Wohnzimmer, sie hatte Kakao gemacht.
    »Ja«, sagte ich.
    »Denk dir, so einen Vater zu haben.«
    »Denk dir, so eine Mutter zu haben«, sagte ich.
    Signe sah mich an, einen Moment auf frischer Tat ertappt, oder wie man nach solchen überraschenden Wortwechseln sagt, die plötzlich die Richtung wechseln, aber nur für einen Moment.
    »Quält dich das?«
    »Was?«
    »So eine Mutter zu haben?«
    Signe, dieses freimütige Gotteswort von Halden, schenkte mir mehr Kakao in die Tasse und legte noch einen Klacks Sahne oben drauf.
    »Du weißt, was ich meine, Bernhard.«
    »Nein, sag es mir.«
    Das gefiel mir. Wir führten einen kleinen, freundschaftlichen Krieg dort im Wohnzimmer von Besserud, während Vater sicher mit König Haakon über Industrie, Automobile und die Zukunft der Nation sprach und Mutter mit Königin Maud schweigend Champagner trank, auch die beiden waren sich nicht so ganz fremd.
    »Deine Mutter ist ein guter Mensch, aber es geht ihr nicht immer so gut«, sagte Signe.
    »Warum nicht?«
    »Weil es so viele Arten gibt, es gut zu haben, die nicht allen gefallen.«
    »Warum gefällt es einigen nicht, wenn es anderen gut geht?«
    Signe blieb mir die Antwort schuldig, obwohl ich wusste, dass sie in dieser Angelegenheit so einiges zu sagen gehabt hätte. Sie legte mir eine Hand auf den Schenkel, ihre Finger waren voll Schlagsahne, und gerade das erregte mich so sehr, dass beide Beine anfingen zu zittern, ich biss die Zähne zusammen und versuchte so fest ich konnte, an Lampenschirme zu denken, an Hammer und St. Olav, was auch immer, nur an etwas anderes. Doch die Gedanken mussten der Überlegenheit des Moments weichen, und eine bisher unbekannte Musik ertönte aus meinem Mund. Sie war nicht besonders schön. Und ich möchte darauf hinweisen, dass ich dieses Intermezzo mit einer gewissen Scheu notiere, eine konkurrenzlose Tugend, die leider verloren gegangen und in unseren trüben Zeiten zur Mangelware geworden ist, weil die jungen Leute, die heute aufwachsen, Schamlosigkeit mit Freisinn und Rohheit mit Fortschritt verwechseln. Wie sie sich doch irren, wie sich stets die Jugend geirrt hat! Und sie irren sich immer mehr, oder sind es nur wir Alten, die glauben, dass wir vermehrt recht behalten? Die Jugend und das Alter gehen jeder seines Weges. Ich bin mir nicht mehr sicher. Aber ich weiß, dass die Schamlosigkeit das letzte Visier der Puritaner und der Faschisten ist. Hört deshalb meine einzige Botschaft, während ich mich selbst zur Seite schiebe, so weit fort wie nur möglich, und Notto Fipp Platz mache, meiner Hauptperson. Er war schüchtern, aber nicht kleinlich. Er war bescheiden, aber nie untertänig. Mit anderen Worten: Er war beispielhaft. Er war die Summe aus demütiger Größe, aus der Generosität des Siegers und der überlegenen Kraft des Verlierers.
    Ich dagegen. Ja, ich dagegen. Ja, ich, ja! Lassen wir es vorläufig darauf beruhen.
    Signe wischte sich die Sahne von den Fingern, und ich fragte mich, wie viele Ringe man wohl davon unter den Augen bekam.
    »Fotzenzäpfchen«, sagte ich. Näpfchen! Näpfchen,

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