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Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman

Titel: Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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nicht die neue und die alte Zeit, die einander begleiten, dieses letzte Stück, jede auf ihre Weise und jede auf ihr Ziel hin, aber in derselben Richtung?
    »Zur Fabrik!«, befiehlt Vater.
    Und so fahren wir weiter, das Verdeck heruntergeklappt, zu den großen Hallen und Werkstätten bei Lilleaker, zu Hvals Industrien, wo es Alfred gelingt zu bremsen, wonach er schweigend sitzen bleibt, die Hände auf dem Lenkrad. Die Arbeiter drehen sich nach uns um, lassen alles, was sie in den Händen haben, fallen und reißen sich die Mütze vom Kopf. Mehrere Männer erscheinen in dem breiten Tor, bleiben dort stehen, reißen sich auch die Mützen ab, ihre Stirne glänzen weiß über den dunklen, schmutzigen Gesichtern, wie Glorienscheine, und sie beschatten die Augen in dem grellen Herbstlicht. Einige verneigen sich sogar tief, und das finde ich gleichzeitig unangenehm und anziehend.
    Vater und ich stellen uns auf das Trittbrett.
    »Schau dich gut um«, sagt er.
    Ich tue, was Vater sagt.
    Die Arbeiter umringen uns. Und als sie nahe herangekommen sind, bemerke ich etwas anderes, nicht Untertänigkeit, nicht die weißen Stirnpartien, die schmutzigen Gesichter, sondern Verachtung. Hammer wird unruhig.
    »Eines Tages gehört all das dir«, sagt Vater.
    Ich schließe die Augen und versuche es vor mir zu sehen, die Spuren, denen ich folgen soll, damit alles mir gehört, doch es ist unmöglich.
    Dann höre ich Vater rufen:
    »Wo ist der Schmied?«
    Als ich die Augen wieder öffne, lassen die Arbeiter einen älteren Kerl durch, er trägt eine Art Lederschürze. Er ist größer als alle und überragt sogar Vater, obwohl wir auf dem Trittbrett stehen.
    »Womit kann ich zu Diensten stehen, Herr Direktor Hval und Sohn? Ist der Wagen kaputt?«
    Die Arbeiter hinter ihm grinsen, einige erdreisten sich zu lachen.
    Vater klettert noch höher, auf den Fußschemel, aber immer noch ist er kleiner als der Schmied.
    »Mit dem Wagen ist alles in bester Ordnung, mein guter Mann. Es ist das Pferd.«
    »Das Pferd?«, fragt der Schmied. »Das ist ja wohl nicht kaputt?«
    »Es ist alt genug«, sagt Vater.
    Ich drehe mich um und sehe Alfred, der aus dem Wagen steigt und Hammer in einem fort über die Mähne streicht.
    Der Schmied tritt einen Schritt zurück.
    »Und was soll ich nach Meinung des Direktors daran tun?«
    »Den Vorschlaghammer holen und kurzen Prozess machen. Was sonst?«
    Der Schmied zögert.
    »Kann der Direktor nicht selbst kurzen Prozess machen?«
    Plötzlich bohrt Vater seinen Blick in den des Schmieds, er lässt nicht locker.
    »Will mein Schmied mir nicht gehorchen?«
    Es ist der Schmied, der zum Schluss nachgibt. Der Schmied ist einen Moment lang kleiner als Vater. Vater tritt vom Fußschemel und dem Trittbrett hinunter und ist größer geworden als der Schmied.
    Alfred geht mit Hammer hinunter zu einer Baracke. Alfred hinkt. Hammer wirkt ruhig. Ich sehe den Schmied an. Er hat den Vorschlaghammer geholt. Jetzt hält er ihn in beiden Händen und hebt ihn über den Kopf.
    »Ist es nicht besser zu schießen?«, flüstere ich.
    »Hammer ist Schlachtvieh«, sagt Vater.
    »Schlachtvieh? Sollen wir Hammer essen? Wir wollen doch wohl Hammer nicht essen?«
    Genau in dem Moment, als der Schmied den Vorschlaghammer in einem weiten, zähen Bogen schwingt, schließe ich die Augen, und ich höre, wie er Hammers Stirn trifft, und das Geräusch ähnelt nichts, was ich vorher gehört habe.
    »Jetzt ist Mutter sicher aufgewacht«, sagt Vater.
    Der Schmied spült den Vorschlaghammer an der Wasserstelle ab.
    »Sorge dafür, dass sie gerecht teilen«, sagt Vater.
    Der Schmied nickt und will gehen. Vater hält ihn zurück, aber ich bin es, an den er sich wendet.
    »Mit welchem Fuß hinkt Alfred?«
    »Mit dem linken.«
    Vater lässt den Schmied los, lächelt.
    »Ich würde mir gern deinen linken Schuh leihen.«
    Der Schmied, verblüfft:
    »Den linken Schuh? Was …«
    Vater unterbricht ihn.
    »Dafür bekommst du den Oberschenkel. Sehr zart.«
    Der Schmied, immer noch verblüfft, aber dennoch gefasst, zieht sich den linken Schuh aus, der aus Holz geschnitzt und riesig wie ein Floß ist, das die Frognerquelle überquert, beschlagen mit Eisen und Nägeln, und diesen bedeutenden Schuh gibt er Vater. Dann gehen wir auch zum Auto. Und plötzlich merke ich, dass ich hinke. Es ist mir nicht möglich, den Fuß mitzuziehen. Zuerst hinke ich rechts, und als ich den Fuß an Ort und Stelle bekommen habe, nach vielem Hin und Her, hinke ich stattdessen mit dem anderen Fuß.

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