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Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman

Titel: Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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Wie meinst du das?«
    »Das Schiff ist von den Deutschen in der Nordsee versenkt worden. Mannschaft und Ladung sind auf Grund gesunken. Es ist zu Ende. Wir stehen auf dem nackten Boden.«
    »Kannst du denn nicht von vorn anfangen?«
    Aber Vater schüttelte nur den Kopf.
    »Die Arbeiter werden ihre Jobs verlieren. Es gibt keine anderen Arbeitsplätze. Und wir, wir verlieren Grund und Boden. Begreifst du, was ich getan habe, Bernhard?«
    »Aber das war doch nicht deine Schuld. Das waren die Deutschen …«
    Vater unterbrach mich.
    »Schuld? Sprich hierbei nicht von Schuld. Ich habe großen Schaden verursacht. Ja, ich habe allen großen Schaden zugefügt. Sag lieber Verantwortung. Es ist meine Verantwortung. Und deshalb muss ich es tun. Merke dir dieses Wort.«
    Vater sprach auf eine sonderbare, fremde Art und Weise, in Rätseln, und ich trat einen Schritt zurück oder zur Seite.
    »Was musst du tun?«
    »Das Gartenhaus ist ein ausgezeichneter Ort, um eine Entscheidung zu treffen«, sagte er.
    Jetzt sah ich, was er hinter dem Rücken versteckt hielt: ein Gewehr, die Remingtonrifle.
    Und Vater sah, dass ich es gesehen hatte. Deshalb holte er die Waffe jetzt hervor. Es gab nichts mehr zu verbergen.
    »Vater«, sagte ich nur.
    Er schüttelte den Kopf, traurig und erleichtert.
    »Es ist entschieden.«
    »Vater«, wiederholte ich, hilflos. »Nicht …«
    Wieder wurde ich unterbrochen.
    »Kannst du mir mit der Jacke helfen?«
    Vater nickte zum Stuhl hin, über den er sie gehängt hatte. Ich tat, was er gesagt hatte. Ich zog Vater an, knöpfte das Hemd am Hals zu und band die Schleife. Er war tadellos gekleidet, er war wieder Oscar Hval, wenn da nicht die Rifle gewesen wäre, die er umklammerte.
    »Können wir nicht Alfred bitten, uns zu Mutter zu fahren?«, fragte ich.
    Vater lachte kurz auf.
    »Alfred hat heute frei. Mutter hat frei. Alle haben frei. Selbst du, Bernhard. Du hast auch heute frei.«
    »Was meinst du damit, Vater?«
    Vater zeigte auf das rote Lederetui mit dem Siegel des Königs darauf: Recht und Wahrheit. Es lag auf der Kommode.
    »Denk daran, dass der Orden zurückgegeben werden muss. Ist das klar, Bernhard?«
    Ich nickte und fragte:
    »Warum denn?«
    Vater schaute weg, er hatte es auswendig gelernt:
    »Bezugnehmend auf Paragraph 16 der Statuten der Orden müssen die verliehenen Orden an die Ordenskanzlei im Königlichen Schloss zurückgegeben werden beim Tod des Ordensinhabers, wenn dem Kommandeur oder Ritter des Ordens ein höherer Grad zugeteilt wird oder wenn er sich als unwürdig erwiesen hat, diesen zu tragen.«
    Er drehte sich wieder zu mir um.
    »Denn ein Orden wird nicht vererbt, Bernhard. Soll ich dir ein Geheimnis verraten?«
    »Und was?«
    »Ich habe nicht ein Wort von dem verstanden, was König Haakon gesagt hat. Er hat genuschelt wie ein dänisches Mädchen. Wie ist eigentlich das Wetter?«
    »Gut. Sonne.«
    »Dann kann es so ablaufen. Bist du dabei?«
    »Wobei?«
    Vater gab keine Antwort, und ich folgte ihm hinaus in den Garten. Einen Moment lang blieb er stehen und holte tief Luft, als genieße er das. Dann ging er weiter am Roadster vorbei, der am Tor geparkt war, und zwischen den Apfelbäumen hinunter zu dem kleinen Springbrunnen, der in einer Ecke stand und voll mit verrotteten Blättern vom letzten Jahr und fast vergessen war. Vater setzte sich auf den Rand, das Gewehr zwischen den Händen, und schaute mich an.
    »Das soll jedenfalls keiner von mir behaupten können«, sagte er.
    »Was denn, Vater?«
    »Dass ich kein Mann von Ehre bin.«
    »Was meinst du damit?«
    Vater antwortete nicht sofort. Stattdessen zog er aus dem rechten Schuh den Schnürsenkel und befestigte ihn an dem Abzug des Gewehrs.
    »Was meinst du damit?«, wiederholte ich.
    »Und noch eins, Bernhard. Hörst du?«
    »Ja, Vater.«
    »Du musst sagen, dass es ein Unfall war.«
    »Ein Unfall?«
    »Ja. Und nimm den Schnürsenkel weg.«
    Vater hatte recht. Er war ein Mann von Ehre. Das Letzte, um das er mich bat, war eine Lüge.
    Denn bevor ich noch irgendetwas tun konnte, beugte er sich zur Mündung hinunter, schob sie sich zwischen die Lippen und zog am Schnürsenkel. Sein Gesicht verschwand in dem Knall und wurde zu einem Durcheinander von Zähnen, Fleisch, Knochensplittern, Blut und Pulver, doch in der Austrittswunde, oberhalb der Schläfe oder direkt über dem Ohr, formte das Projektil ein sternförmiges Loch mit zerfetzten Rändern, in der Größe eines Einkronenstücks, und er wurde fast in die Luft geschleudert und

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