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Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman

Titel: Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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sagen.«
    Ich gab ihr die Hand, wir begrüßten uns.
    »Das kann dem Besten mal passieren«, sagte sie.
    Wie die Worte doch die Dinge an ihren Platz rückten! Das kann dem Besten mal passieren! Als wenn nicht alles dem Besten passieren kann! Ich hätte auf die Knie fallen und ihr die Schuhe küssen können. Aber glücklicherweise hielt ich ihre Hand nur noch fester und hätte sie am liebsten gar nicht wieder losgelassen.
    »Dann können Sie mir sicher sagen, wo das Labor liegt?«, fragte ich.
    Die Krankenschwester bekam einen strammen Zug um den Mund, der nicht zu der Freundlichkeit passte, die ich in dieser Begegnung bisher erlebt hatte.
    »Erster Flur rechts«, sagte sie.
    Dann zog sie schnell ihre Hand zurück, drehte mir den Rücken zu und ging eilig in die entgegengesetzte Richtung.
    »Danke!«, rief ich ihr hinterher. »Danke schön.«
    Ich fand das Labor, in dem der Laborant, ein glatzköpfiger Mann mittleren Alters, über ein Mikroskop gebeugt saß, zwischen Regalen und Schränken voll mit Reagenzgläsern, Gläsern, Föten in Spiritus, und hinter dem Laboranten stand sein Assistent, wie ich annahm, ein jüngerer Mann in meinem Alter, über ihn gebeugt. Zunächst nahmen sie gar keine Notiz von mir. Ich ließ sie ihre Arbeit beenden. Doch da sie das nicht taten, unterbrach ich sie.
    »Könntet ihr euch das hier bitte mal anschauen?«
    Ich stellte die Probe, die ich von Notto Fipp genommen hatte, auf den Arbeitstisch.
    Beide drehten sich zu mir um.
    Ich streckte ihnen die Hand entgegen.
    »Bernhard Hval.«
    Aber keiner von beiden ergriff sie. Stattdessen schauten sie auf das kleine Gläschen mit Notto Fipps Blut, und offenbar nicht mit Freude.
    »Was für eine Probe soll es sein?«, fragte der Laborant.
    »Widals Reaktion«, sagte ich.
    »Und wer ist der Patient?«
    Ich senkte die Stimme.
    »Es ist ein Freund.«
    »Ein Freund von Ihnen. Und Widals Reaktion?«
    »Es geht um Leben und Tod«, erklärte ich. »Bitte, tun Sie mir den Gefallen.«
    Der Laborant zuckte mit den Schultern.
    »Aber dann sind Sie mir auch einen schuldig.«
    »Aber selbstverständlich. Selbstverständlich! Und noch was.«
    »Ja? Es ist immer noch was.«
    »Können Sie mir irgendwelche stärkenden Tabletten empfehlen?«
    Der Laborant und sein Assistent tauschten heimliche Blicke, aber es kümmerte mich nicht.
    »Kräftigend? In welcher Weise?«
    »Für die Ausdauer.«
    »Ich werde sehen, was mir einfällt.«
    »Danke. Das ist äußerst großzügig.«
    Ich streckte noch einmal meine Hand vor. Doch keiner ergriff sie.
    »Willkommen an Bord, Bernhard Hval.«
    Ich verließ das Labor, erleichtert, und fand endlich den Weg zu Direktor Lunds Büro. Die Sekretärin im Vorzimmer stand sofort auf, als wollte sie mir zuvorkommen, und zeigte auf ein Waschbecken in der Ecke. Sie wirkte unangenehm berührt und dennoch energisch. »Borax steht im Schrank«, sagte sie nur.
    Da begriff ich: die Hände! Diese Hände! Ich hatte sie nicht gewaschen. Sie waren in Vigdis Juliussens Enddarm und in ihrer Scheide gewesen, und ich hatte sie nicht gewaschen, und ich hätte sie nicht nur hinterher waschen müssen, sondern zwischen Enddarm und Scheide auch, vielleicht hatte ich Bakterien vom Anus zur Vagina übertragen. Unverzeihlich. Und jetzt war das Gerücht bereits im Umlauf und bis ins Vorzimmer von Direktor Lund gedrungen. Oh, verfluchte Sykophanten! Ich versuchte meine Scham zu verbergen, ging zum Waschbecken, drehte das heiße Wasser auf, nahm das Borax aus dem Schrank und schüttete mir die desinfizierende Seife über die Hände, bevor ich sie unter das glühend heiße, brennende Wasser steckte, während ich mich selbst im Spiegel betrachtete: Bernhard Hval, 29 Jahre alt, ziemlich blass, tiefliegende Augen, ein wenig braun, von meiner Mutter, von meinem Vater hatte ich die hohe Stirn und den geraden Nasenrücken, wie ich annehme, und, ich werde es nicht mehr wiederholen, Bernhard Hval, der Beste seines Jahrgangs.
    Dann konnte ich zu Direktor Lund hineingehen. Ich war, ehrlich gesagt, nicht besonders optimistisch. Hatte er mich eingestellt, um mich am selben Tag wieder kündigen zu können? Er stand hinter seinem Schreibtisch auf. Wir begrüßten uns und setzten uns. Sein Haar und sein Schnurrbart waren im Laufe des Sommers weißer geworden, aber er hatte immer noch seine alte Würde, als er seine Weste zurechtzupfte und die Uhr aus der Tasche zog, eine Unart hatte er, eine Unart! Die grüne, geschwungene Lampe verbreitete im Raum ein angenehmes Licht. Dennoch

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