Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman
beeinflussen lassen sollst. Wir treiben hier Wissenschaft.«
Ich spürte Lunds Unwillen, ließ mich aber nicht beirren, ganz im Gegenteil, eher leckte ich Blut und wappnete mich. Ich redete ziemlich laut.
»Ozaena! Die Nierenfunktion des Schleimaals! Der Chromosomendefekt bei der Bananenfliege!«
Direktor Lund schaute mich lange Zeit an.
Schließlich sagte er:
»Unterschätze die Bananenfliege nicht.«
»Natürlich nicht. Das war nicht meine Absicht.«
»Ohne Bananenfliege wären wir nicht das, was wir heute sind.«
»Das ist wahr. Und ohne den Schleimaal auch nicht.«
»Aber ich schätze deine Begeisterung. Auch die darf nicht unterschätzt werden.«
»Danke schön.«
Und so beendete Lund das Gespräch:
»Suaviter in modo, fortiter in re.«
Doch da leckte ich noch mehr Blut:
»Als hätte ich es selbst gesagt! Und könnte ich, wenn ich schon einmal hier bin, um Urlaub bis zum November bitten, um genauere Feldstudien betreiben zu können?«
Am ersten Arbeitstag um Urlaub bitten? Jetzt war ich auf jeden Fall zu weit gegangen. Ich biss die Zähne zusammen, knirschte jedoch nicht, biss nur, lautlos, bis ich fast die Kiefer ins Fleisch presste.
Lund, wir redeten uns nie mit Vornamen an, stand auf.
»Erinnerst du dich, was ich in meinen Vorlesungen immer über die Chirurgie gesagt habe?«, fragte Lund.
Lob und Dank. Seine Nachsicht war grenzenlos.
»Ich erinnere mich an jedes einzelne Wort«, erwiderte ich.
»Daran zweifle ich. Selbst ich brauchte ein Skript.«
Ich lachte, unpassend, doch da er auch lachte, vereinte sich unser Lachen in einem gemeinsamen Humor auf sehr hohem Niveau.
»Ich erinnere zumindest das meiste«, sagte ich.
Der Direktor unterbrach mich mit einer schnellen Handbewegung.
»Aber ich denke dabei nicht an Details, Schnitte oder lateinische Phrasen. Das kann man auswendig lernen. Ich denke an das Übergeordnete.«
»Hygiene«, sagte ich leise.
Er hatte es wohl nicht gehört, denn er fuhr fort:
»Dass nämlich die Chirurgie von dem Ausübenden eine klare Entscheidung, Geistesgegenwart, eine leichte Hand sowie Takt und Gefühl und nicht zuletzt ein beruhigendes, mitfühlendes und vertrauenserweckendes Wesen erfordert. Daran erinnerst du dich doch noch, oder?«
Ich nickte.
Lund hatte noch mehr auf dem Herzen:
»Deshalb bin ich froh, dass du deine Unarten abgelegt hast.«
»Wie bitte? Welche Unarten?«
»Das weißt du genau. Mit den Fingern zu knacken. Das konnte man ja noch auf der Karl Johan hören.«
War das ein Lob oder eine Warnung?
Direktor Lund setzte sich.
Ich hatte dem nichts hinzuzufügen. Aber er:
»Du kannst bis nach der Hochzeitsreise Urlaub nehmen. Dann werden wir weitersehen.«
War es so einfach? Wollte er mich loswerden? Warum bat er mich nicht vielmehr zu bleiben, die Verlobung zu lösen oder zu verlängern?
»Danke«, sagte ich. »Das ist viel zu viel.«
Ich stand auf, ohne mich wieder zu setzen, wollte gehen.
»Bernhard.«
Es war das erste Mal, dass Direktor Lund meinen Vornamen in einem Gespräch benutzte, jetzt, wo es aufs Ende zuging.
»Ja?«
»Was ich eigentlich sagen wollte, Bernhard.«
Direktor Lund stand auch auf und stützte sich mit den Händen auf den grünen Filz auf dem Schreibtisch.
»Ja?«
Und er schaute mir direkt in die Augen, als er Folgendes sagte:
»Du weißt, wir kommen nicht um dich herum.«
»Danke.«
Ich lief durch die elenden Flure des Rikshospitals, während diese Worte weiterhin in mir zogen und zerrten. Du weißt, wir kommen nicht um dich herum. War ich der unbrauchbare Primus? Der überschätzte Einfältige? War ich der Beste, dem alle aus dem Weg gehen wollten, aber dem niemand entkam? Da hörte ich eine leise Stimme meinen Namen flüstern: Bernhard Hval. Bernhard Hval. Ich blieb stehen, widerstrebend, und drehte mich um. Das war diese verfluchte Vigdis Juliussen. Jemand hatte die Tür offen stehen lassen. Sie lag allein da und streckte mir eine Hand entgegen, die sie kaum heben konnte. Vigdis Juliussen. Sie stand mir ganz einfach im Weg. Ich hasste sie. Warum mussten sie und ihr Vorfall diesen Tag für mich kaputt machen, der doch ein Erlebnis, ein Meilenstein hätte werden sollen? Meinetwegen konnte sie gern sterben. Ich würde daneben stehen und zusehen und hinterher sagen, dass die Welt dadurch weder besser noch schlechter geworden war, vielleicht sogar tatsächlich ein bisschen besser. Ich ging hinein und setzte mich auf die Bettkante. Sie ergriff meine Hand.
»Ich wollte dem Herrn Doktor nur danken«,
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