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Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman

Titel: Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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sich ganz sicher, dass da drinnen nicht noch mehr ist, denn sonst müsste ich auf eine gründlichere Art und Weise vorgehen.«
    »Nein, Ehrenwort«, wiederholte sie.
    »Sie sind also sicher, dass nicht noch außerdem Glas, Flaschen, Korkenzieher, ein Paar Schuhe oder vielleicht ein Aschenbecher und eine Schachtel Streichhölzer im Enddarm sind? Sie rauchen doch, oder?«
    Was hatte mich nur geritten?
    War das ein neuer Zwang, ein anderer Hunger, andere auszuschelten und zu demütigen und nicht irgendwelche Leute, sondern die, die ganz unten standen, die nicht noch tiefer fallen konnten? Nein, das war nur der Pöbel in mir, der Quälgeist, der übernahm. War ich jetzt, in diesem Augenblick, ich selbst? War das der echte Bernhard Hval? Oh, zehn wilde Pferde! Ich hätte lieber Dornenbüsche, Kreuze, Autoreifen und Eheringe und was ich sonst noch zur Hand hatte so tief wie möglich in meine eigene Öffnung gesteckt, als das, was ich jetzt tat.
    Und plötzlich wechselte die Frau ihre Attitüde und wurde zu einem rasenden, wütenden Menschen.
    »Wer sind Sie eigentlich, sind Sie ein Doktor oder nicht, hä? Sie elender Quacksalber!«, schrie sie.
    Ich beugte mich über die halbnackte, bebende Frau und legte einen Finger auf ihre Halspulsader, in erster Linie des Scheins wegen.
    »Es ist wohl leider tatsächlich so, dass hier der Doktor vor Ihnen steht«, sagte ich. »Habe ich etwa vergessen, mich vorzustellen? Bernhard Hval. Guten Tag, Vigdis Juliussen. Fühlen Sie sich jetzt besser?«
    Sie nickte und drehte den Kopf weg.
    »Ich meine, besser ohne Korken? Und mit dem Po, wo er hingehört?«
    Es wurde ganz still im Krankenzimmer. Der Augenblick der Wahrheit, wie es heißt, Triumph oder Niederlage:
    »Ja«, flüsterte sie, »ich fühle mich viel besser, Herr Doktor.«
    »Na, sehen Sie. Und lassen Sie es nicht zur Gewohnheit werden, Korken im Enddarm aufzubewahren. Das ist ein empfindsames Instrument, gemacht für die Stuhlentleerung, nicht für den Abfall. Dafür haben wir Mülleimer und Speibecken.«
    Ich schaute mich um, doch die Blicke, denen ich begegnete, waren nicht anerkennend, respektvoll, gehorsam. Was hatte ich erwartet, dass sie auf die Knie fallen und mir die Schuhe küssen würden? Nicht einmal die übrigen Patienten waren auf meiner Seite. Ich war es, der sie beunruhigt hatte. Die Älteste des Pflegepersonals wollte mich sogar loswerden, doch da nahm ich sie nur am Arm und sagte entschlossen:
    »Dreht die Patientin um«, sagte ich.
    Sie taten, wie ihnen geheißen.
    Ich wollte sehen, ob sie auch einen Vorfall in der Scheide hatte und dann einen Mutterkranz hätte, der hineinzuschieben wäre. Ich hob die fleckigen Hautfalten hoch, die den ganzen Schambereich bedeckten, und fühlte. Aber es war zum Glück nicht nötig.
    Ich wandte mich wieder an die älteste Krankenschwester.
    »Ein einfaches Klistier vor zwölf Uhr«, sagte ich.
    Damit verließ ich das Krankenzimmer.
    Ich fand einen Besenschrank und schloss mich darin ein.
    Der erste Tag bei der Arbeit, und ich hatte bereits über die Stränge geschlagen.
    Ich verbarg mein Gesicht in den Händen, damit das Geheul nicht zu hören war. Es nützte nichts. Ich heulte zu laut. Ich war ein Wolf in einem Besenschrank. War das mein Wesen, ich meine, mein Unwesen? Ich schob mir einen Lappen in den Mund und zerkaute ihn. So blieb ich dort stehen, bis es für dieses Mal vorbei war. Und für dieses Mal vorbei, das hieß nur, aufs nächste Mal zu warten. Nichts anderes als eine Zwischenzeit! Das war alles, was ich hatte. Eine Zwischenzeit! Ich wurde von dem großen Handschuhgefühl ergriffen, war taub vom Schädel bis zu den Fußspitzen. Ich dachte: Hatte ich etwa nicht eine gute Tat begangen? Hatte ich nicht einen Korken entfernt, ganz gleich, wo er auch gelandet sein mochte, und einen Vorfall im Anus wieder an Ort und Stelle geschoben? War die Patientin nicht in einem schlimmeren Zustand gewesen, bevor ich mich um sie gekümmert hatte? War ich ihr nicht sogar zu Hilfe geeilt? War meine gute Tat nicht größer als meine gemeine Haltung? Ach, wir stellen unmögliche Rechnungen auf, wir wollen, dass es für uns aufgeht, doch unsere eckigen Zahlen genügen dafür nicht.
    Ich trat hinaus, und eine andere Krankenschwester blieb abrupt stehen und schaute mich verblüfft an. Was hatte ich in dem Besenschrank zu suchen? Ich lachte laut auf.
    »Falsche Tür«, sagte ich. »Ich bin neu hier. Bernhard Hval. Tatsächlich habe ich heute erst angefangen. Heute Morgen, um es ganz genau zu

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