Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman
beunruhigte mich dieses Gespräch mit Direktor Lund umso mehr.
»Ich habe gehört, dass du schon tätig gewesen bist«, sagte er.
»Ja. Ich wurde sozusagen ins kalte Wasser geschmissen.«
»Gut. Aber vergiss nicht, dass du immer noch nur Assistenzarzt bist.«
»Das war doch nur eine Kleinigkeit.«
Direktor Lund zog erneut seine Weste zurecht. Ich hätte bereits jetzt Unrat wittern sollen.
»Nichts ist nur eine Kleinigkeit. Selbst ein Splitter im Finger ist nicht zu unterschätzen. Alles ist groß genug für uns.«
Ich betrachtete die Portraits an der Wand, vier Männer, ehemalige Direktoren des Rikshospitals, und es war, als würden sie ihren Blick, betreten, enttäuscht, dem Stuhl zuwenden, auf dem ich in dem scharfen grünen Licht saß und versuchte die Kiefer zusammenzupressen und gleichzeitig zu reden.
»Selbstverständlich. Eine Scheuerwunde genügt. Ein Hühnerauge …«
Direktor Lund unterbrach mich.
»Es ist nicht mehr lange hin bis zur Hochzeit, oder?«
Ich war dankbar für den Themenwechsel:
»Nein, der Termin nähert sich bedrohlich schnell.«
Wir lachten ein wenig.
»Und vielen Dank für die Einladung. Alma und ich wissen das sehr zu schätzen. Sie ist sehr stolz auf dich und freut sich für dich. Nicht zuletzt über dein Prüfungsergebnis.«
Ich schluckte und schluckte und legte die Hand auf den Adamsapfel.
»Ohne euch hätte ich nichts davon geschafft«, sagte ich, »weder meine Braut finden noch das Examen.«
Lund, der es gar nicht mochte, gelobt zu werden, er sah Lob als ungeeignetes Mittel an, das eher Schaden als Nutzen anrichtete, schüttelte den Kopf und wurde förmlich:
»Deine zukünftige Ehefrau und dein Examen, und auch deine Stellung hier beim Rikshospital, das hast du alles allein dir zu verdanken.«
Ich schaute auf meine Hände.
»Übrigens sind es meine Schwiegereltern, die die Einladung verschickt haben. Ich habe damit gar nichts zu tun. Mit der Gästeliste, meine ich.«
Was redete ich da? Was hatte ich da geredet? Ich hätte mehr sagen sollen, meine Unbesonnenheit übertünchen, mein loses Mundwerk, doch Lund kam mir wie üblich zuvor. Das war seine Art, mich zu retten.
»Und wohin geht die Hochzeitsreise?«
Ich atmete erleichtert auf: »Nizza. Westminster Hotel.«
»Schönes Klima. Etwas feucht, aber der Wind von den Bergen lindert es. Hast du eigentlich bei dieser Gelegenheit von deiner Mutter gehört?«
»Nein.«
»Hat deine Mutter von dir gehört?«
»Sie hat die Adresse gewechselt. Ich erwarte, bald von ihr zu hören.«
Direktor Lund, mein Mentor, mein zweiter Vater, wechselte rücksichtsvoll das Thema:
»Hast du noch weiter über deine Doktorarbeit nachgedacht? Ozaena?«
Ich beugte mich vor.
»Ich habe meine Pläne geändert. Ich möchte mich lieber in die Disziplin des Gehens vertiefen, inwieweit das einzelne Individuum dadurch, dass es die Gehweise entfaltet und verfeinert, auch den Rest des Körpers und nicht zuletzt den moralischen Status stärkt.«
Direktor Lund schwieg für eine Weile. Ich wartete auf eine Antwort. Dann sagte er:
»Willst du dich der Orthopädie widmen?«
»Nein, nein. Ich will das Gehen als Teil des gesamten Körpers betrachten, von den Fußsohlen bis zur Hypophyse.«
»Und das hast du dir genau überlegt? Du weißt, dass das eine äußerst wichtige Entscheidung ist. Du wirst dein Leben von dieser Entscheidung abhängig machen.«
Ich klemmte meine Hände zwischen die Knie.
»Ich habe eine Chance bekommen, die ich mir nicht entgehen lassen kann.«
»Eine Chance? Inwiefern?«
»Ich habe einen Mann kennengelernt, der Großtaten ausführt, was das Gehen betrifft. Wirkliche Großtaten. Er hat mich auf neue Gedanken gebracht.«
»Wer ist es?«
»Notto Fipp«, sagte ich.
Direktor Lund zwirbelte seinen Schnurrbart.
»Auch wenn es unnötig sein sollte, möchte ich dich daran erinnern, dass du nicht über irgendein x-beliebiges Thema promovieren kannst. Es geht um das Ansehen der Universität und des Krankenhauses und nicht zuletzt um deine und meine Ehre.«
Diese Worte belasteten und erleichterten mich zugleich. So viel hatte ich jedenfalls im Laufe eines ziemlich vergeblichen Lebens gelernt, dass der Unterschied zwischen Enttäuschung und Lob oft so klein ist, dass man das feinste Mikroskop benutzen muss, um ihn zu finden.
Ich sagte:
»Eigentlich heißt er Senum. Notto …«
Sofort wurde ich unterbrochen:
»Es war nicht der Name, der mir durch den Kopf geht, ich denke daran, dass du dich nicht von Zufällen
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