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Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman

Titel: Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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sagte sie.
    »Dafür gibt es keinen Grund.«
    »Sie heißen Bernhard Hval, nicht wahr?«
    »Ja, das stimmt.«
    »Danke. Es geht mir jetzt viel besser.«
    »Wissen Sie, ich habe nur meine Pflicht getan.«
    »Aber es hat nichts genützt.«
    »Aber Sie haben doch gerade gesagt, dass es jetzt viel besser geht.«
    »Ich werde trotzdem sterben, Herr Doktor.«
    »Das müssen wir alle. Es geht nur darum, den Tod ein wenig aufzuschieben.«
    »Warum?«
    »Warum? Dann kann ich Sie ja gleich fragen, warum Sie mir dann eigentlich danken?«
    »Weil es besser ist, ohne Schmerzen zu sterben, als mit Schmerzen zu leben. Wissen Sie das nicht?«
    Vigdis Juliussen ließ meine Hand los und schloss die Augen.
    Ich blieb eine Weile sitzen und betrachtete sie, ein Wrack, da bestand kein Zweifel, nach Jahren mit Alkohol, Geburten, wahrscheinlich noch mehr Abtreibungen, Misshandlung, elender Ernährung, ja, ein Wrack, im wahrsten Sinne des Wortes, doch immer noch ein Mensch, und irgendwo, tief in diesem Misthaufen aus Fleisch, Materie, Knochen und Blut, leuchtete vielleicht ein Gedanke, oder der Anfang eines Gedankens, den noch niemand zuvor gedacht hatte. Fachlich betrachtet bewegte ich mich hinüber in eine andere Fakultät, die philosophische oder die psychologische, zumindest leisteten mir die Metaphysiker Gesellschaft. Und wie gesagt, dort blieb ich eine Weile. Gehirnwattenpest! Das Einzige, was ich mit Sicherheit sagen konnte: Vigdis Juliussen war einmal ein Kind gewesen. Und da haben wir diese überschätzte Kindheit wieder, meine Damen und Herren! Das Skelett ist das Einzige, das standhält, das Knochengerüst, die allerletzte Wiege. Eiapopeia, mit Kokablättern den Anzug voll. Ja, eiapopeia, Vigdis Juliussen! Ich erhob mich vom Bett, und in der Tür standen zwei Krankenschwestern mit großen Augen. Meine Arme ruderten in der Luft.
    »Ist es nicht üblich, vorher anzuklopfen?«, fragte ich.
    Die Älteste erwiderte:
    »Die Tür stand offen.«
    »Und genau dafür haben Sie zu sorgen, dass sie nicht offen steht! Aber ich will es dieses Mal noch einmal durchgehen lassen! Auf Wiedersehen. Ach, und noch eins. Legen Sie Charpi auf die Liegewunden. Und noch eins. Geben Sie ihr eine Dosis Borsäure.«
    Silentium!
    Endlich gelangte ich zurück auf die chirurgische Station A. Dort saßen meine Kollegen, zumindest einige von ihnen, und tranken Kaffee, der Laborant übrigens auch. Ich suchte mir einen Platz am Ende des Tisches. Ich nahm an, dass der Neue sich hinten in der Schlange anstellen musste, und wollte möglichst den Spielregeln folgen. Niemand sagte ein Wort. Sie sahen mich nur an. Offensichtlich war etwas im Busche, aber ich wusste nicht was, und ich war kurz davor, im Chaos zu versinken, als der Laborant mir die Blutprobe reichte.
    »Dein Freund ist nicht schwanger«, sagte er.
    Gelächter brach los, und alle ließen ihre Tassen auf den Tisch knallen.
    Ich behielt die Fassung.
    »Na, dann weiß ich jedenfalls das. Herzlichen Dank. War sonst etwas zu finden?«
    »Negativ. Negativ. Und negativ. Und jetzt schuldest du uns, wie abgemacht, einen Gefallen, Hval.«
    »Aber selbstverständlich. Und was soll es sein?«
    »Da du uns nicht zu deiner Hochzeit eingeladen hast, möchten wir dich gern heute Abend zu einem kleinen Junggesellenabschied ausführen. Wir nehmen an, dass du diese Einladung mit Freuden annehmen wirst?«
    Ich weiß nicht, wie lange ich den Atem anhielt, um nicht mit den Zähnen zu knirschen oder ihnen mein gesamtes Repertoire zu präsentieren. Also davon hatte das ganze abgekartete Spiel gehandelt, von einem unschuldigen Junggesellenabschied. Sie wussten natürlich, dass ich bald heiraten sollte. Mein Misstrauen war also vom ersten Moment an vollkommen grundlos gewesen. Ich war erleichtert, gerührt und erschrocken.
    Der Laborant beugte sich vor.
    »Ist die Einladung angekommen, Hval?«
    »Ja. Aber ich muss leider absagen.«
    »Ja. Absagen?«
    »Ja. Es geht leider nicht.«
    »Meinen Herr Bernhard Hval tatsächlich, dass die Probe positiv ist?«
    Ich nickte. Jetzt nicht einknicken. Nicht nachgeben. Das ist unmöglich. Ich nickte noch einmal. Standhaft bleiben. Im Glauben. Im Fleische. In allem. Meine Hände zitterten. Ich hielt mich fest. Ich stand auf.
    »Ich muss heim zu meiner Verlobten.«
    Ich verließ das stumme Lachen, zog mich in der Garderobe um, und als ich draußen auf der Pilestredet stand, da heulte ich wie ein Krankenwagen und trampelte wie ein Elefant.
    Für einen Moment war ich Mitglied der Loge gewesen. Jetzt

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