Die Uno
Revision der UNO-Charta gewählt wurde, sondern diese Reformen durchBeschlussfassungen des Sicherheitsrats bzw. in Form von internationalen Verträgen realisiert wurden.
1. Mehr Effektivität durch eine Reform des kollektiven Sicherheitssystems?
Wie wir bereits gesehen haben, stößt das System kollektiver Sicherheit der UNO an seine Grenzen, wenn damit private Kriegsherren und terroristische Netzwerke in die Pflicht genommen werden sollen. Wenn ein Staat sich einer terroristischen Bedrohung ausgesetzt sieht, wächst damit die Bedeutung seiner einzig noch verbleibenden Alternative: der Wahrnehmung des Rechts auf individuelle und kollektive Selbstverteidigung. Die Charta sieht jedoch völkerrechtliche Beschränkungen dieses Rechts vor. Ob es unter diesen Umständen zur Abwehr eines terroristischen Angriffs überhaupt noch taugt, ist fraglich.
Das Missverhältnis zwischen drohenden Gefahren und den erlaubten Möglichkeiten zur Gefahrenabwehr ist nicht ganz neu. Es besteht, seit es die waffentechnische Entwicklung erlaubt, ohne große Vorwarnzeiten umso größere Schäden zuzufügen. Durch das Risiko terroristischer Anschläge gewinnt dieses Missverhältnis aber eine neue Qualität: Mit deren zeitlicher und räumlicher Unvorhersagbarkeit verwischt sich der Unterschied zwischen dem Vorliegen einer Bedrohung und einer Angriffshandlung. Die neuen Gefahrenszenarien scheinen daher eine Vorverlagerung von Verteidigungsmaßnahmen unumgänglich zu machen. Die USA gingen nach dem 11. September 2001 ebenso wie Russland nach dem Massaker in Beslan im August 2004 dazu über, dieses Argument für die Rechtfertigung einer faktischen Aufhebung jeglicher völkerrechtlicher Beschränkungen bei der Ausübung ihres Selbstverteidigungsrechts zu nutzen.
Wenn die Entscheidung über die Zulässigkeit von Gewalteinsätzen zur Selbstverteidigung wieder in das Belieben jedes einzelnen Staates zurückfallen würde, der sich bedroht fühlt, bliebe von der zivilisatorischen Errungenschaft des völkerrechtlichen Gewaltverbots nur noch eine Fassade übrig. Jeder Staat könnte sich zum selbsternannten Sheriff in eigener Sache aufschwingenund sich damit zugleich über das internationale Recht erheben. Allerdings wäre auch dessen Autorität bedroht, wenn sich Sicherheit tatsächlich nur noch durch das Unterlaufen der zu ihrer Wahrung in der Charta der Vereinten Nationen verankerten Grundsätze herstellen ließe. Artikel 51 wäre überholt, wenn sich bedrohte Staaten dadurch nicht mehr ausreichend geschützt sehen würden.
Zu der neuen Auffassung, dass es sich bei Terrorakten überhaupt um eine Bedrohung der internationalen Sicherheit handelt, die Zwangsmaßnahmen nach Kapitel VII der Charta rechtfertigt, hat sich der Sicherheitsrat schrittweise durchgerungen. Den ersten Schritt in diese Richtung tat er mit der Resolution 731 am 21. Januar 1992 anlässlich des Bombenanschlags, der zum Absturz eines amerikanischen Verkehrsflugzeugs über der schottischen Ortschaft Lockerbie geführt hatte. Als Friedensgefährdung wurde in diesem Fall allerdings erst die Weigerung Libyens qualifiziert, die vom Sicherheitsrat beschlossenen Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus umzusetzen und die verdächtigten libyschen Staatsangehörigen auszuliefern. Auf dieser Grundlage wurden dann Zwangsmaßnahmen gegen das Land erlassen.
Die auf die Anschläge des 11. September 2001 folgenden Sicherheitsratsresolutionen 1368 und 1373 gingen einen Schritt weiter: Die Terroranschläge selbst wurden nun unmittelbar als eine Sicherheitsbedrohung gewertet, die den Selbstverteidigungsfall auslösen kann. Allerdings brachte die gleichzeitige Bezugnahme auf Artikel 39, der sich sowohl auf Angriffshandlungen als auch auf die Bedrohung des Friedens bezieht, und auf Artikel 51, der das Recht auf Selbstverteidigung nur im Fall eines Angriffs vorsieht, die in der Charta vorgesehene Unterscheidung zwischen erlaubter und verbotener Gewalt durcheinander. So konnten die beiden Resolutionen mit ihrem pauschalen Verweis auf Kapitel VII der Charta in der Folge dafür herhalten, um unter Berufung auf drohende terroristische Gewaltakte militärische Selbstverteidigungsmaßnahmen gegen terroristische Organisationen auf dem Territorium von «Unterstützerstaaten» zu ergreifen. Der am 7. Oktober 2001 erfolgte Angriff der USA und Großbritanniensauf die von den Taliban beherrschten Gebiete Afghanistan wurde unter Verweis auf Resolution 1373 und auf Artikel 51 der Charta mit der
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