Die Unseligen: Thriller (German Edition)
Luther King
103
Im Hof machten sich drei junge Polizisten einen Spaß daraus, sich mit dem Leichnam von Yaru Aduasanbi zu fotografieren. Sie hatten das weiße Tuch über seinem Gesicht heruntergezogen und posierten mit einem Knie auf dem Boden und gehobenem Daumen, wobei sie lächelten wie Fischer, die den größten Fang ihres Lebens aus dem Meer geholt haben.
Rote Polizeilichter und Blitze von Fotoapparaten enthüllten im Hintergrund eine Gruppe von Straßenkindern, die auf einem Haufen Bauschutt saß. Die Kinder in zerrissenen Trikots der Super Eagles beobachteten das Treiben der drei Polizisten und reichten untereinander einen Joint herum.
Megan, die sich an die Tür zur Notaufnahme lehnte, erblickte Einwohner von Baganako, die sich mit den Armen auf dem Fensterbrett aufstützten, um ebenfalls etwas von dem Spektakel mitzubekommen.
»Sie haben ihn identifiziert«, sagte der junge Arzt und zeigte auf die Leiche, »offenbar ist es ein Terrorist, hinter dem sie seit Jahren her waren … «
»Ich weiß.«
Gleich nach dem Überfall war die Krankenschwester nach oben geeilt, um bestätigt zu finden, was sie schon geahnt hatte: Naïs war nicht mehr da.
Etwas abseits, bei einem Polizeijeep, diskutierte der Missionschef von MSF mit dem Kommissar der Stadt. Die Worte flogen heftig zwischen ihnen hin und her. Der Kommissar, der einen verstockten Gesichtsausdruck hatte, sah den Doktor verächtlich an und schüttelte regelmäßig den Kopf.
»Was sagen sie?«, fragte Megan und deutete mit dem Kinn auf die beiden.
»Die Polizisten glauben, es wäre ein bewaffneter Überfall gewesen, bei dem Medikamente gestohlen wurden. Sie lassen sich nicht davon abbringen.«
»Aber wir sind mindestens zwanzig Zeugen.«
»Das hat man ihnen gesagt, aber es ist ihnen egal. Sie wollten nur, dass eine erneute Bestandsaufnahme der Medikamente in der Apotheke gemacht wird.«
Megan betrachtete die drei Polizisten bei der Leiche voller Verachtung.
»Und er? Wie erklären sie seinen Tod?«
»Selbstmord. Sie glauben, er hätte sich aus Angst vom Dach gestürzt.«
Absurde Schlussfolgerungen. Schlampige Ermittlungen. Die Polizisten wollten etwas vertuschen. Und sie war sich sicher, dass das etwas mit Naïs zu tun hatte.
»Ich muss mit ihm reden.«
Der junge Arzt legte seine Hand auf ihren Arm.
»Das bringt nichts. Egal, was du sagst, in ihrem Bericht wird ›Selbstmord‹ stehen.«
Der Einsatzleiter war wohl zum gleichen Schluss gelangt, denn er beendete jäh das Gespräch, um ins Innere des Krankenhauses zurückzukehren. Der Kommissar lächelte zufrieden und befahl seinen Männern, die Leiche wegzuschaffen.
»Megan? Ist alles in Ordnung?«
Sie blinzelte, um in die schweißnasse Wirklichkeit Afrikas zurückzukehren. Der junge Arzt starrte sie besorgt an.
»Ja … «, sagte sie widerstrebend. »Ich bin nur ein bisschen erschöpft … «
Ihre zu drei Vierteln heruntergebrannte Zigarette verriet ihr, dass sie eine ganze Weile in ihre Erinnerungen versunken gewesen war. Die Polizisten hatten den Leichnam von Yaru Aduasanbi schließlich in einen der Jeeps gelegt. Als die Wagen losfuhren, verloren die Kinder das Interesse an dem Spektakel und verschwanden in der Dunkelheit. Die Laternen in den Hütten erloschen nacheinander.
»Was hast du dir erhofft, als du hierhergekommen bist?«, fragte Megan.
»Ich verstehe nicht.«
Die Krankenschwester wandte die Augen ab und zitterte.
»Ich will wissen … «, fuhr sie mit einer abwesenden Stimme fort, » was du dir erhofft hast, als du dich entschlossen hast, für eine humanitäre Organisation zu arbeiten.«
»Ich weiß nicht«, sagte er. »Ich glaube, ich erhoffte mir, meinen Platz zu finden.«
Er wunderte sich selbst über seine Antwort.
»Ich habe mich nirgends zu Hause gefühlt«, fuhr er zögernd fort. »Ich glaube, der Kontakt mit dem Tod, der Einsatz für die Anliegen, um die wir uns kümmern, hat mir erlaubt, eine Art Ersatzidentität zu finden.«
Als sich die Krankenschwester in Schweigen hüllte, fühlte er sich gezwungen hinzuzufügen: »Hört sich blöd an, ich weiß … «
Er stockte, als die Türen des Krankenhauses aufgingen. Ein Krankenpfleger im Kittel näherte sich ihnen und sah den sich entfernenden Blaulichtern nach.
»Der Boss hat mir gesagt, dass ich euch holen soll. Er hat eine sofortige Mitarbeiterversammlung einberufen.«
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»Der Tod einer Kollegin ist immer ein schwerer Schlag … «
Die Worte des Einsatzleiters von Médecins Sans Frontières wurden mit
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