Die Unseligen: Thriller (German Edition)
ratlosem Schweigen aufgenommen.
»Leider können wir uns keine Ruhepause gönnen. Wir sind bereits personell unterbesetzt, und wir sind darauf angewiesen, dass jeder sein Bestes gibt … «
Die Mitarbeiter des Krankenhauses von Baganako drängten sich in dem Ruheraum – einige saßen auf Stühlen, andere lehnten sich, auf der nackten Erde sitzend, gegen die Mauer. Niemand von den Ärzten oder Pflegekräften, von denen manche in ihre Kaffeebecher vertieft waren, hatte sich seit Beginn der Versammlung zu Wort gemeldet.
»Das, was heute Nachmittag passiert ist, zwingt mich dazu, Sie zu fragen, ob jemand von Ihnen abreisen will … « Seine Stimme wurde heiser. »Ich glaube, dass ich schnell einen Plan für die Rückholung von Mitarbeitern erstellen kann. Wir müssen MSF Paris lediglich die Zeit lassen, um Ersatz für die Mitarbeiter zu finden, die in ihre Heimatländer zurückkehren wollen … «
Erneutes Schweigen. Megan klebte die Zunge am Gaumen. Sie hatte Lust davonzulaufen, sofort und für immer. Aber dann fand sie es beschämend und feige, einfach alles stehen und liegen zu lassen.
Noch immer schwiegen alle, jeder hoffte, ein anderer würde sich vor ihm zu Wort melden.
»Ich will zurück«, sagte einer der Krankenpfleger.
Es wurden verlegene Blicke gewechselt, und einer der Ärzte hob ebenfalls die Hand.
»Es tut mir leid, aber ich glaube nicht, dass ich das durchstehe.«
»Ich will ebenfalls zurück«, flüsterte die Apothekerin. »Wie du weißt, habe ich einen Sohn, und ich will nicht … «
Sie setzte ihren Satz nicht fort, da es ihr peinlich war, sich zu rechtfertigen. Zwei Krankenschwestern zögerten und hoben dann doch die Hand. Der Missionschef schlug die Augen nieder, und tiefe Falten durchzogen seine Stirn. Ihm wurde mit einem Mal klar, dass das, was er aufgebaut hatte, am Zusammenbrechen war. Er hatte die letzten fünf Jahre damit verbracht, dieses Krankenhaus wiederherzurichten, er hatte sich größte Mühe gegeben, es zum Funktionieren zu bringen. Das war sein Traum, sein Leben gewesen, und in nur fünf Minuten hatte sich alles in Luft aufgelöst. Er schrieb die Namen in sein Notizbuch.
»Gut. Die Beisetzung findet morgen bei Tagesanbruch statt«, waren seine einzigen Worte.
105
Megan hatte sich nicht entscheiden können. Ihr war bewusst geworden, dass sie nicht stark genug war, und trotzdem hatte sie etwas zurückgehalten. Es war nicht der Wille, zu beweisen, dass sie der Herausforderung gewachsen war, nein, es war etwas Intuitives, was sich nicht verstandesmäßig erklären ließ; eine Gewissheit, aber welche?
Sie hatte versucht, Benjamin anzurufen, um eine Antwort zu finden. Aber im Lager von Damasak hatte niemand abgehoben. Benjamin fehlte ihr. Sie wünschte sich, er würde sie in seine Arme schließen und sie lieben, stumm und brutal. Sie schloss die Tür zu ihrem Zimmer ab und betrachtete den Koffer, den sie noch nicht ausgepackt hatte. Es genügte, das zusammengerollte T-Shirt, das am Fußende des Betts lag, aufzuheben, ihren Kulturbeutel in den Koffer zu stecken, den Reißverschluss zuzuziehen und abzureisen. Drei Handgriffe, und alles wäre erledigt.
Sie räumte den vollen Aschenbecher weg, der auf dem Kopfkissen stand, und setzte sich auf die Matratze. Das Zimmer erschien ihr leerer und unpersönlicher als bei ihrer Ankunft. Die Stockflecken an der Decke schienen noch größer, die Schmutzflecken an der Wand zum Bad noch zahlreicher geworden zu sein. Sie schmiss ihre Schuhe ans andere Ende des Zimmers und schaltete die Nachttischlampe an. In der grauen Beleuchtung glich der Raum einer schäbigen Zelle, wie ein Sinnbild ihrer Einsamkeit.
Mit einer wütenden Handbewegung warf sie die Lampe um. Die Glühbirne flackerte knisternd, ehe sie erlosch. In der Dunkelheit zog Megan das Jo-Jo aus ihrer Tasche und sah das Spielzeug traurig an, ehe sie es mit aller Kraft gegen die Wand warf. Die beiden Holzscheiben brachen auseinander, und der weiße Faden wickelte sich auf dem zerschlissenen Teppichboden ab.
Sie ließ sich auf den Rücken fallen und legte den Arm über ihr Gesicht. Das Rauschen draußen, die Schreie von Fischern, die Netze auf den Strand zogen, lullten sie ein.
Das Ticken des Weckers erinnerte die junge Frau daran, dass sie in einer halben Stunde ihren Nachtdienst antreten musste. Sie zog sich aus und beschloss, sich zum zweiten Mal an diesem Tag zu duschen, in der Hoffnung, das kalte Wasser auf ihrer Haut würde ihr Erleichterung bringen. Durch das Fenster sah sie
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