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Die Unseligen: Thriller (German Edition)

Die Unseligen: Thriller (German Edition)

Titel: Die Unseligen: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aurélien Molas
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geschlossenen Augen, den Kopf an die Wand gelehnt.
    »Sie müssen mir diese Kugel entfernen … «
    »Ich bin keine Ärztin.«
    Megan sah sich in dem Zimmer um und schätzte ihre Chancen ein, ungeschoren davonzukommen, falls sie fliehen würde. Sie stieß gegen die umgestürzte Nachttischlampe auf dem Boden.
    »Ich … ich kann das nicht … «
    »Ich werde Ihnen sagen, was Sie tun müssen«, entschied er. »Gehen Sie ins Bad, und holen Sie das, was Sie brauchen.«
    »Das ist unmöglich, ich habe keine Zange und kein Tetracyclin … wie soll ich … «
    »Ich habe gesagt: Gehen Sie in dieses verdammte Bad, und holen Sie, was Sie brauchen.«
    Er richtete sich behutsam auf, wobei er sich auf die Ellbogen stützte, und zog das Gewehr zu sich. Er schloss die Augen und ertrug die Schmerzen ohne einen Laut.
    »Und wenn Sie sich der Tür nähern … «, er klopfte leicht auf den abgesägten Lauf, »… dann braucht es mehr als einen Arzt, um den ganzen Schrot zu entfernen, der Ihren Bauch durchsieben wird.«
    Er wartete, bis die junge Frau im Nebenzimmer verschwunden war, dann lehnte er seinen Kopf an die Tapete. Ihm war schwindlig vor Erschöpfung.
    Dass er sich von Yaru Aduasanbi in dieser Weise hatte überraschen lassen, würde ihn noch weit mehr kosten, als nur bis ans Ende seiner Tage zu humpeln. Dieser verdammte weiße Neger hatte bereits die Verfolgung von Naïs aufgenommen, vielleicht trug er sie in diesem Moment sogar schon in seinen Armen.
    Er war zum dritten Mal angeschossen worden, aber diese Kugel verbreitete ein besonders bitteres Gift – das des Misserfolgs – in seinem Geist. Aduasanbi hatte nur einmal in seine Richtung schießen können, ehe er in die Tiefe stürzte, aber dadurch, dass er ihn verletzt hatte, hatte er ihn davon abgehalten, seinen Auftrag zu erfüllen.
    Nachdem Okah das Gewehr in seine Jacke eingewickelt hatte, war es ihm gelungen, aus dem Krankenhaus zu fliehen und sich unter die Menge panischer Patienten zu mischen. Torkelnd wie ein Betrunkener und geschüttelt von heftigem Zittern, war er dicht an den Mauern entlanggegangen, als die Polizeiautos mit heulenden Sirenen vorfuhren.
    Er hatte mit dem Segen der Regierung gehandelt, aber er hatte befürchtet, dass die Polizisten übereifrig wären und ihn allzu lange aufhielten. Er bedauerte diese Entscheidung. Die Polizisten hätten einen Arzt rufen und ihn behandeln lassen können.
    Es schien ihm, als hätte er eine Strecke von mehreren Kilometern zurückgelegt, ehe er diese Tür aufgemacht hatte; doch als er das Schloss unter den leeren Blicken einer Schar Kinder mit dem Dietrich geöffnet hatte, hatte er die von Rundumlichtern erhellte Fassade der Klinik gesehen. Seine Kräfte hatten ihn verlassen, als er versucht hatte, die Kugel zu entfernen. Er war in der Duschwanne ohnmächtig geworden, dann hatten ihn Träume heimgesucht.
    Henry Okah öffnete die Augen, als er die junge Frau ins Zimmer zurückkommen hörte. Die Arme mit Kompressen und Fläschchen beladen, näherte sie sich dem Bett und ließ alles auf die Matratze fallen. Sie starrten sich schweigend an, beide regungslos, und dachten, dass keiner von ihnen beiden heute hier wäre, wenn nur eine einzige Sekunde ihres Lebens anders verlaufen wäre.
    Megan öffnete ein Fläschchen Wasserstoffperoxid und setzte sich neben Okah.
    »Das wird wehtun.«
    Er lächelte traurig, während er gedankenversunken zum Fenster blickte.
    »So viele Dinge tun weh«, sagte er zu sich.

108
    Als Kind hatte Okah eine Mittelohrentzündung gehabt, und er erinnerte sich an die lange Nadel, die der Arzt in sein Ohr eingeführt hatte, um den Abszess aufzustechen, aber er hätte nicht genau sagen können, wie alt er gewesen war, und auch nicht, ob sein Vater bei ihm gewesen war und ihm die Hand gehalten hatte oder ob er im Wartezimmer geblieben war. Auch das Gesicht des Arztes hätte er nicht mehr beschreiben können.
    Die einzige Gewissheit, die ihm von diesem Moment geblieben war, war der Schmerz. Dieser stechende, unerhörte Schmerz, der in seinem Schädel explodiert war. Nie wieder hatte er einen solchen Schmerz verspürt. Bis heute.
    Er biss sich auf die Lippe, und seine Eckzähne bohrten sich ins Fleisch, als die junge Frau die Epilierpinzette tiefer in die Wunde schob. Das metallische Knirschen der Pinzette an der Kugel tat ihm in den Ohren weh. Eispfeile schienen seine Knochen zu durchbohren, unsichtbare Fangzähne den Schenkel zu zerfleischen, und das Zimmer begann, sich um ihn herum zu drehen.
    »Ohne

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