Die Unseligen: Thriller (German Edition)
für einen Tag ziemlich viel ist und dass wir einen klaren Kopf brauchen, ehe wir uns da weiter vorwagen.«
Benjamin fuhr sich mit der Hand durchs Gesicht und heftete die Augen schweigend auf das tanzende Paar.
»Okay«, räumte er ein. »Aber vorher lässt du mich einen Trick ausprobieren … «
Jacques warf einen Blick in Richtung des Anwalts und lächelte.
»Wir können eine solche Summe nicht aufbringen«, stieß Benjamin hervor, als er zum Tisch zurückkam, »jedenfalls nicht ohne Rücksprache mit der Präsidentin von MSF .«
»Natürlich.« Der Anwalt nahm seine Brieftasche heraus, legte einen Schein auf den Tisch und stand auf. »Sie haben ja meine Nummer.«
»Warten Sie. Was passiert, wenn wir Ihnen dieses Geld geben?«
»Umarus Männer bezweifeln immer stärker, dass sie jemals das Geld sehen werden, das ihnen versprochen wurde. Daher werden einige einen Umschlag nicht zurückweisen. Vor allem wenn sie sich endlich die Geiseln vom Hals schaffen und abhauen können. Sie werden das Gefühl haben, nicht alles verloren zu haben.«
»Geben Sie uns die Adresse.« Benjamin trat zwischen den Mann und die Tür der Bar. »Ich will eine Garantie. Glauben Sie mir, wir werden nichts unternehmen, was das Leben der Geiseln gefährdet. Aber ich will einfach sicher sein, dass ich Ihnen vertrauen kann.«
»Wenn Umarus Männer Sie entdecken, werden Sie die Geiseln nicht mehr wiedersehen. Sind Sie sich darüber im Klaren?«
»Ja.«
»In diesem Fall … « Sein Lächeln wurde breiter, und er verbeugte sich kurz. »Für zweihunderttausend Euro, meine Herren, bin ich Ihnen zu Diensten.«
139
Hinter den getönten Scheiben hatte Megan das Gefühl, wieder aufzuleben.
Zum ersten Mal seit viel zu langer Zeit sah sie die Straßen und die Menschenmenge, den Himmel und die sich im Wind wiegenden Dattelpalmen, sie hörte die Geräusche der Stadt, ihren Atem, und sie nahm diese Rhythmen und Farben aus tiefster Seele in sich auf.
Während langer Minuten war ihre freudige Erregung so stark, dass sie die Schreie der Prostituierten vergaß, als Billy Bob seine Waffe auf ihre Brust gerichtet hatte; sie vergaß das Röcheln des Kindes in ihrer Nähe, die Anfänge der Tragödie, auf die die Pick-ups zurasten. Eine überwältigende Freude durchlief sie, und ihr Herz schlug schneller.
Als das Krankenhaus in Sicht kam, bremste der Geländewagen ab. Krankenwagen parkten vor der Notaufnahme, die Strahlen ihrer Blaulichter strichen über die Fassade eines monströsen Gebäudes hinweg. Sirenen heulten, passend zu der Unruhe, die sich des Gebäudes bemächtigt zu haben schien. Umaru Atocha deutete auf die Zufahrt zur Tiefgarage, der Fahrer nickte, und schon fuhr das Auto geschmeidig über die Rampe.
Neonröhren tauchten den Raum in ein grünes Licht, das an Meeresleuchten erinnerte. Der Fahrer stellte den Motor ab. Einen Moment lang regten sie sich nicht und schwiegen, als ahnte jeder, dass das Schlimmste noch bevorstand.
Umaru berührte den Griff seiner Waffe unter seiner Jacke und schloss die Augen, bis die Türen der Pick-ups geöffnet wurden. Er hörte die Stimme Billy Bobs und das rasche Klopfen seines Blutes in seinen Adern.
»Aussteigen!«, sagte er.
Mit Naïs auf dem Arm ging Megan auf die Schiebetüren am Ende des Parkplatzes zu. Sie atmete tief ein, um ihr wie panisch schlagendes Herz zu beruhigen. Zwei Söldner flankierten sie, bereit, bei der geringsten verdächtigen Geste zu schießen. Megan spürte, wie sie die Beine im Stich ließen. Die Entfernung bis zu den Türen schien wie in Zeitlupe größer zu werden. Von den Gerüchen des Krankenhauses wurde ihr schwindlig, aber sie klammerte sich an die winzige Hoffnung, die sich ihr bot, jene verschwindend geringe Chance, hier lebend herauszukommen.
140
Benjamin und Jacques standen an der Straßenecke und rauchten, ihre Nervosität konnten sie dabei kaum verbergen.
Von da, wo sie standen, hatten sie einen guten Blick auf das Haus, das gänzlich unauffällig war und verlassen zu sein schien. Als sie vor dem Haus vorbeigegangen waren, hatten sie das Zeitungspapier an den Fenstern und das Dreifachschloss an der Eingangstür bemerkt. Abgesehen von diesen Details deutete nichts darauf hin, dass hier Geiseln festgehalten wurden.
»Und jetzt?«, fragte Jacques.
»Und jetzt: Ich weiß nicht.«
Benjamin versuchte, mit seinem Blick die Schatten auf der Fassade zu durchdringen, die in dem Maße länger wurden, wie das Tageslicht abnahm. Er konnte nicht recht glauben, dass sich Megan
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