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Die Unseligen: Thriller (German Edition)

Die Unseligen: Thriller (German Edition)

Titel: Die Unseligen: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aurélien Molas
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bleiben sollte. Doch nach langem Schweigen fuhr Umaru fort: »Ich habe geglaubt, Naïs würde mir ein anderes Leben ermöglichen … « Seine Stimme war müde und schwach. »Kein besseres Leben, nur ein anderes Leben. Aber jetzt ist mir klar, wie naiv ich gewesen bin … Man kann kein anderes Leben führen. Niemals. Man kann Entscheidungen treffen, aber man kann nicht aus seiner Haut.«
    Der Polizist stand auf und legte ein letztes Mal seine Hand auf den Arm des Verwundeten. Dann öffnete er seine Ledertasche und holte einen Kleintransporter in Miniatur heraus, einen Danfo, gebastelt aus zugeschnittenen Getränkedosen und Draht. Er stellte ihn aufs Bett.
    »Du hast mir einmal erzählt, dass dein Vater einen solchen Minibus gefahren hat«, sagte er. »Ich hab gedacht, das wäre dir lieber als Blumen.«
    Umaru lachte seltsam. In der Tür stehend, sah Forman Stona ihn an und lächelte zurück.
    Einige Straßen von der Klinik entfernt blieb der Polizist vor einer mit Graffiti überzogenen Mauer stehen. Zwischen den Symbolen verschiedener Gangs sah man Porträts von Männern. Die Zeichnungen waren primitiv, die Strichführung unbeholfen, aber Stona erkannte mühelos Fela Kuti, Nelson Mandela und Toussaint Louverture. Er betrachtete die Zeichnungen und insbesondere jene, die einen graubärtigen Mann zeigte, der den Blick auf einen unsichtbaren Punkt am Horizont richtete.
    Um das Porträt von Yaru Aduasanbi herum waren Bemerkungen gekritzelt worden. Eine davon lautete: »Ich werde meinen Söhnen von Ihrem Kampf erzählen. Und sie werden ihren Söhnen davon erzählen. Und durch die Söhne ihrer Söhne werden Sie weiterleben. Wir schwören: Die Revolution wird niemals sterben.«

162
    Der Aufbahrungssaal war ein schmaler, purpurrot tapezierter Raum. In einer Ecke brannten, diskret von einem Vorhang verdeckt, zwei Räucherstäbchen und verbreiteten einen ekelerregenden Vanillegeruch. Zwei weiße Kerzen rahmten das Gesicht Benjamins ein, dessen Kopf auf dem Sargkissen ruhte. Die Flammen der Kerzen ließen die Schatten unter den Augen noch dunkler erscheinen. Das Make-up färbte seine Haut und die sorgfältig rasierten hohlen Wangen grau.
    Die Mitglieder von MSF verharrten in stillem Gedenken vor dem Leichnam, und Jacques, der neben dem Sarg stand, legte seine Hand auf die von Benjamin. Er drückte sie, in der Hoffnung, dass ein Zucken diesem Albtraum ein Ende setzte. Seitdem er seinen Eid abgelegt hatte, hatte er Hunderte von Toten gesehen; seine Eltern hatte er in ähnlicher Weise in einer Friedhofskapelle aufgebahrt gesehen, er hatte Kinder in Massengräbern gesehen, erschossene Soldaten auf den Gehsteigen von Sarajevo und Abidjan, er hatte gesehen, wie der Tod Familien dezimiert hatte. Und dennoch hoffte er in diesem Augenblick, dass Benjamin die Augen aufschlagen würde, dass sich die Blässe und der wachsartige Teint rosa färben und wieder Blut in seinen Adern fließen würde. Der Trauerbegleiter betrat das Zimmer und schloss behutsam die Tür. Er wartete eine Weile, ehe er das Schweigen brach.
    »Wenn Sie ein paar Worte sagen wollen … «
    Jacques fragte sich, welches Gebet er an seinen Freund richten könnte. Er lächelte, als sich die Worte von selbst aufdrängten.
    »Wenn man als Arzt approbiert wird«, sagte er mit lauter Stimme, »schwört man, an den Regeln der Ehre und Redlichkeit festzuhalten.«
    Die Mitglieder von MSF nahmen sich bei der Hand und sprachen im Chor.
    »Ich werde alle Menschen, ihre Unabhängigkeit und ihren Willen achten, ohne einen Unterschied nach ihrem Stand oder ihren Überzeugungen zu machen. Ich werde zu ihrem Schutz einschreiten, wenn sie schwach, verletzlich oder in ihrer Integrität oder Würde bedroht sind. Selbst unter Zwang werde ich meine Kenntnisse nicht gegen die Gesetze der Menschlichkeit anwenden.«
    Jacques unterdrückte einen Schluchzer und zwang sich fortzufahren.
    »Ich werde den Bedürftigen behandeln und jeden, der mich darum bittet. Ich werde mich nicht von Gewinn- oder Ruhmsucht beeinflussen lassen. Ich werde alles tun, um Leiden zu lindern. Ich werde den Todeskampf nicht übermäßig verlängern.«
    Als Jacques die Flammen der Kerzen ausblies, wurde es still. Ein sanftes Dämmerlicht hüllte den Raum ein. Der Trauerbegleiter beugte sich zur Rechten des Toten hinunter und ließ die Luft aus dem Sargkissen heraus.
    Die Ärzte und Krankenpfleger, die Benjamin Dufrais gekannt hatten, näherten sich nacheinander dem hellen Holzsarg, und jeder flüsterte, wenn er vorne war:

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