Die Unseligen: Thriller (German Edition)
zerbrochene Scheibe und verloren sich in der Savanne. Forman Stona hockte auf den Fersen und rührte sich nicht.
Der Mond zitterte über der Grenze zwischen Niger und Nigeria, sein graues Licht verwandelte noch den kleinsten Teil der Finsternis in einen schwarzen Faden über den blauen Felshügeln. Ein Schakal, der das Maul in die Eingeweide eines Vogels steckte, hob kurz den Kopf, seine langen Ohren zitterten, dann zog er den Kadaver in einen dunkleren Winkel.
»Schicken Sie zwei Ihrer Männer los, um sie zu suchen.«
»In Ordnung.«
Stona stand langsam auf und ging zu der Kolonne von Geländewagen, vor der etwa hundert Polizisten die weißen Wirbel und Lichthöfe betrachteten, die fern in der Ebene tanzten.
Ein dumpfes Grollen – Echos von Stimmen, Getrappel von Sandalen – stieg von der Grenze auf und wurde lauter, wie eine riesige Planierwalze, die Sträucher, Gehölz und wilde Kräuter zermalmte.
Forman Stona setzte den Feldstecher an die Augen. Die binokulare Vergrößerung enthüllte eine kompakte Menschenmenge, die sich auf der Piste drängte, welche sich zwischen den kleinen Tälern schlängelte. Er glaubte eine marschierende Armee zu sehen, ein mythisches Volk aus der Urzeit auf der Suche nach einem gelobten Land, das mit jedem Kilometer etwas unsichtbarer wurde.
62
Eine Salve aus einer Schusswaffe zerriss die Stille, und die Flüchtlinge erstarrten augenblicklich in ihren Bewegungen. Forman Stona, der auf der Motorhaube seines Autos stand, setzte das Megafon an seine Lippen.
»Ihr seid illegal in dieses Land gekommen. Das stellt eine Straftat dar … «
Um ihn herum richteten Polizisten, die mit halbautomatischen MP 5-Gewehren bewaffnet waren, superstarke Scheinwerfer auf die Felsspalte. Andere Polizisten, die etwas weiter weg auf der Straße standen, wiederholten die Worte des Kommissars wie ein düsteres Echo.
»… wir fordern die nigerianischen Staatsbürger auf, sich sofort bei den Behörden zu melden. Diejenigen unter euch, die nicht die nigerianische Staatsangehörigkeit besitzen, müssen einen Pass vorlegen. Diejenigen, die keine Ausweispapiere haben, werden abgeschoben. Ich wiederhole: Die nigerianischen Staatsbürger müssen sich unverzüglich bei den Behörden melden … «
Die Vertriebenen, die von den Schüssen und den plötzlich aufleuchtenden Scheinwerfern in Angst und Schrecken versetzt worden waren, standen da wie vom Donner gerührt. Etwa zwanzig Polizisten schwärmten unter den Flüchtlingen aus und zwangen die Männer und Jugendlichen dazu, sich mit den Händen über dem Kopf hinzuknien. Drei andere Gruppen forderten die Frauen auf, sich in einer Reihe aufzustellen und ihr Gepäck abzusetzen.
Die Polizisten wateten durch den Schlamm, rissen die Plastikbeutel auf und schütteten den Inhalt von Bündeln und zerschlissenen Koffern aus. Sie verstreuten die Kleider, die Töpfe, die Lebensmittel, zertrampelten das Gepäck unter ihren Militärstiefeln und ließen noch den kleinsten Wertgegenstand in ihren Taschen verschwinden. Alles, was auch nur entfernt einer Waffe ähnelte – Messer, Gabeln, Eisenstäbe – , wurde in den Fluss geworfen. Im Süden löste eine Salve von einem Maschinengewehr eine kurze Panikreaktion aus.
»Herr Major?«
Stona sah zu dem Polizisten hinunter, der ihm ein Satellitentelefon hinhielt.
»Der Generalstab will Sie sprechen.«
Um sie herum wurden die Befehle mit Schreien und Tränen quittiert, aber der Wind schwächte die Geräusche zu einem kontinuierlichen Dröhnen ab.
»Major Stona«, meldete sich dieser, von der Motorhaube herunterspringend.
Stona krümmte sich unter den sandigen Böen und entfernte sich, um Schutz vor den Windstößen zu suchen.
»Sind Sie sicher, dass die Information stimmt, Herr Oberst? Und wo ist Umaru Atocha?«
Der Wind, der die Hitze des Sahel in sich aufgenommen hatte, hatte den für Afrika so typischen Geruch nach Asche. Stona lauschte aufmerksam den Befehlen seines Vorgesetzten.
»Gut. Ich breche sofort nach Damasak auf.«
Er legte auf und dachte nach. Die Polizisten setzten ihre Übergriffe fort, aber keiner der Flüchtlinge wagte es, sich auch nur zu rühren. Sie waren Tausende, und doch gelang es ihrem Zorn nicht, den Schrecken, den die Gewehre verbreiteten, zu überwinden.
Naïs und Yaru Aduasanbi wurden in einem Flüchtlingslager aufgespürt. Mitarbeiter einer Hilfsorganisation haben uns benachrichtigt. Offenbar gab es einen Zwischenfall.
Forman Stona kehrte zum Funker zurück und übertrug seinem
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