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Die Unseligen: Thriller (German Edition)

Die Unseligen: Thriller (German Edition)

Titel: Die Unseligen: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aurélien Molas
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zuzuschreiben war, den Knastbrüder empfinden, wenn sie entlassen werden. Aber er sah dem Anführer der MEND vergeblich in die Augen, er entdeckte dort nicht jenes kleine herausfordernde Funkeln, hinter dem sich für gewöhnlich die Angst vor dem verbirgt, was einen draußen erwartet.
    Okah blähte die Brust und füllte seine Lungen mit der Nachtluft. Die Gerüche von Pollen und verdorrtem Gras, die ein Gewitter ankündigten, bissen ihn in der Nase. Was er gerade dem Wärter gesagt hatte, war genauso nichtssagend und sinnlos wie seine Ansprachen an die Guerilleros vor einem Kampf. Er wusste es. Aber er wusste auch, dass es nicht der Tiefsinn einer Rede ist, der auf die Zuhörer wirkt. Und er, Okah, besaß diese angeborene Fähigkeit, mit großer Eloquenz zu reden, sich an alle zu wenden, wobei er die Illusion vermittelte, jedem ins Ohr zu flüstern, und er ertappte sich selbst dabei, wie er idiotische Äußerungen mit einer solchen Überzeugungskraft von sich gab, dass sie wie Peitschenhiebe knallten.
    »Was bedeutet es Ihnen, frei zu sein?«
    Die Frage war genauso dumm wie seine Antwort. Zumal der Wärter nicht wusste, dass diese von der Regierung gewährte Freiheit nur eine Scheinfreiheit war, Sand, in die Augen der Öffentlichkeit gestreut, um die Vereinbarung, die sie geschlossen hatten, geheim zu halten. Indem er den Vorschlag, der ihm gemacht worden war, akzeptiert hatte, hatte er sich freiwillig die Leine um den Hals gelegt.
    Aber einen Versuch war es wert.
    Okah sah zum anderen Ende des Hofs und erblickte den Gefängnisdirektor, der einige Meter vom Eisengitter entfernt stand, ähnlich einem Wächter am Rand des Universums.
    Der Mann war ungefähr sechzig Jahre alt und leitete diese Anstalt seit neunundzwanzig Jahren. Und jedes dieser Jahre hatte eine tiefe Falte auf seiner Stirn und um seinen Mund hinterlassen. Während seines Berufslebens hatte er mit nicht weniger als zwölf Meutereien und einhundertfünfzig Morden, darunter zwanzig Morden an Wärtern, zurande kommen müssen. Diese Vorfälle, aber auch eine fast zwanghafte moralische Strenge hatten ihn abgehärtet; als leidenschaftlicher Befürworter der Todesstrafe war er der Ansicht, ein Verbrecher müsse nicht nur bestraft, sondern gebrochen, reduziert auf den Zustand eines Wurmes, werden, und dies zum Wohl der Gesellschaft. Er gehörte zu der Sorte Menschen, für die es nur ein Gesetz gibt: jenes, das Gut und Böse voneinander scheidet.
    »Sie sind gekommen, um sich von mir zu verabschieden, Herr Direktor?«, fragte Okah lächelnd.
    Der Direktor presste die Kiefer zusammen und sah ihn verächtlich an.
    »Danke«, sagte er zu dem Wärter. »Ich werde den Gefangenen selbst zur Pforte führen.«
    »In Ordnung, Herr Direktor.«
    Der Direktor schwieg und wartete, bis sich der Wärter entfernt hatte. Seine Fingernägel bohrten sich in das Klemmbrett, das er in der Hand hielt, und zerrissen die obere rechte Ecke des Entlassungsformulars. Er bebte vor Wut, und in seinem Blick vermischte sich diese Wut mit tiefer Verständnislosigkeit.
    »Ich weiß nicht, was Sie ausgeheckt haben, und auch nicht, weshalb unsere Justiz diese Farce gebilligt hat, aber etwas sollten Sie wissen, Okah … «
    Der Direktor machte einen Schritt auf Okah zu und näherte sich diesem so weit, dass Okah durch den Duft eines billigen Parfüms hindurch den Schweiß- und Essensgeruch, den sein Hemd angenommen hatte, riechen konnte.
    »Das Rad dreht sich … Und Sie können nicht ewig vor Ihren Verbrechen davonlaufen. Der Tag wird kommen, an dem Sie wieder hier vor mir stehen.«
    Seine Stimme war heiser, und Okah musste abermals an die Moralpredigten denken, die der weiße Pfarrer im Garten seiner Eltern gehalten hatte, wenn er sich, nach der Messe, mit den anderen Honoratioren zur sonntäglichen Grillparty traf.
    Der Direktor und der Geistliche teilten dieselbe Gewissheit, wonach eine kosmische Waage das Gleichgewicht der Kräfte regierte, das auf der Erde am Werk war.
    »Es sind Tiere wie Sie, die diese Welt zu dem machen, was sie ist … «, sagte er mit einem plötzlichen Überdruss.
    Henry Okah hielt seinem Blick stand.
    »… eine verabscheuungswürdige Welt.«
    »Oh, oh … «, stieß Okah lächelnd hervor. »Und was ist so verabscheuungswürdig an dieser Welt?«
    »Sie ist abscheulich, weil es keine Ordnung und kein Recht mehr gibt. Sie ist abscheulich, weil Menschen wie Sie nicht bestraft werden. Ich spreche nicht nur von diesem Land oder diesem Kontinent … Mit dieser Welt geht es

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