Die Unseligen: Thriller (German Edition)
Mädchen … «
»Kesiah?«
»Ja. Hast du eine Idee, wer sie entführen wollte?«
»Sie ist Prostituierte. Vielleicht wollte ihr Zuhälter sie zurückhaben. Aber da ist noch etwas anderes«, sagte Benjamin, während er seine Zigarette ausdrückte. »Kesiah hatte dieses Foto in ihrer Tasche.«
Er legte das Bild von Yaru Aduasanbi auf den Tisch und schob es Jacques zu.
»Wenn ich dir sagen würde, dass ich sie heute gesehen habe … «
»Was?«
»Ich bin mir sicher.«
Sein Zeigefinger tippte auf das Porträt von Naïs.
»Machst du Witze?«
»Ganz und gar nicht. Ich wollte dich gerade rufen lassen, als man mir sagte, der Neue sei niedergestochen worden.«
»Wo ist sie? Immer noch in der Krankenstation?«
Jacques machte eine Faust und blies darauf.
»Ausgeflogen«, sagte er und öffnete die Hand. »Ich habe angeordnet, sie zu überwachen. Aber in dem anschließenden Durcheinander hatte derjenige, der sich als ihr Vater ausgab, genügend Zeit, um sie zu holen.«
»Yaru Aduasanbi?«
»Was weiß ich? Ich bin Arzt, kein Detektiv.«
»Hast du das den Polizisten gesagt?«
»Ja. Und sie haben das Ministerium verständigt. Einer unserer alten Bekannten wird kommen und die Sache aufklären.«
»Wer?«
Jacques zündete sich eine Zigarette an und trank sein Bier aus.
»Forman Stona. Unser Schutzengel.«
59
Vor der Krankenstation von Médecins Sans Frontières schoben zwei junge Polizisten in Uniform Wache. Die beiden Wachposten standen im fahlen Licht und spähten in die Finsternis, die sich genau dort wie eine Mauer erhob, wo das Licht schwächer wurde.
»Können Sie nicht einschlafen?«
»Man kann nichts vor Ihnen verbergen«, antwortete Megan lächelnd.
»Ein gutes Gespür zu haben, gehört zu unserem Job«, sagte der zweite Polizist und zog an dem Joint, den sie sich teilten.
»Ist das während des Dienstes erlaubt?«, sagte sie mit einer ironischen Spitze. Der Polizist lächelte und blies auf den Joint, den er zwischen Mittelfinger und Daumen eingeklemmt hatte; die Spitze knisterte, und einige Funken lösten sich ab und erloschen in der Dunkelheit.
»Wollen Sie auch mal?«, fragte er und hielt ihr den Joint hin.
Megan nickte und pickte ihm den Joint aus den Fingern. Der Geschmack des Cannabis in Mund und Hals linderte ihre Ängste ein wenig.
»Was für ein verdammt langer Tag«, sagte der erste Polizist und setzte sich auf das Trittbrett eines Lkws.
Megan stimmte dem innerlich zu und ging vor bis zur Grenze zwischen Licht und Dunkelheit. Sie blieb einen Schritt vor der Finsternis stehen.
»Haben Sie die Befragung der Zeugen schon beendet?«, fragte sie.
»Nein, aber wir lassen ihnen Zeit, sich zu erholen«, antwortete der Polizist. Er deutete mit dem Kopf auf die Krankenstation. »Ich glaube, sie haben für heute genug gesehen.«
Der zweite Polizist näherte sich Megan und stellte sich neben sie; beide betrachteten das schlafende Lager.
»Arbeiten Sie schon lange hier?«
»Ich bin heute Morgen angekommen«, sagte sie, worauf sie den Joint an ihn weiterreichte.
»Was? Heute Morgen?«
Er lachte laut auf, und der Widerhall des Geräuschs blieb wie an unsichtbaren Fäden zwischen ihnen hängen. Sie kramte in ihren Taschen und fischte eine Zigarette aus ihrer Schachtel. Das zweite Mitglied des Duos hielt ihr sein Feuerzeug hin.
»Kommt Ihr Kollege durch?«
»Seine Vitalfunktionen sind schwach, aber er hat eine Chance, ja.«
»Schlimme Sache … «, murmelte der Sergeant. »Er verlässt seine Heimat, wo er alles hat, was er will, und er kommt hierher, an den Arsch der Welt, um den Armen zu helfen. Er kommt, um Gutes zu tun, und ein Mistkerl hat nichts Besseres zu tun, als ihn niederzustechen.«
»Ja, das ist wirklich schlimm«, bekräftigte der zweite Polizist. »Dieses Land geht den Bach runter.«
»Nicht nur dieses Land«, seufzte Megan. »Vor zwei Jahren hatte ich in Chicago einen Patienten, der am helllichten Tag auf der Terrasse einer Bar totgeprügelt wurde. Und wissen Sie, warum? Weil er keine Zigarette rausrücken wollte.«
»Im Ernst? Wegen einer Kippe?«
»Ja, umgebracht wegen einer Zigarette«, sagte sie und betrachtete starr den glühenden Stummel, den sie zwischen ihren Fingern hielt.
Sie schwiegen und lauschten dem Summen der Insekten. Ein Rascheln in der Dunkelheit, irgendwo rechts von ihnen, zog die Aufmerksamkeit von Megan auf sich. Sie spähte nach dem, was sich bewegt hatte, und ihr Herz hüpfte in ihrer Brust, als sie, etwa zwanzig Meter entfernt, einen weißen Mann
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