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Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)

Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)

Titel: Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Orringer
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dich dort sitzen lassen habe.«
    »Ich will einfach nur nach Hause«, sagte sie. »Ich möchte nicht am Straßenrand darüber sprechen.«
    »Sei nicht böse.«
    »Es ist meine Schuld. Ich hätte nicht mit der Vergangenheit anfangen sollen. Die Gedanken daran machen mich traurig, und das muss der Grund gewesen sein, warum du aufgestanden und an den Strand hinuntergegangen bist.«
    »Das lag am Absinth«, sagte er. »Das Teufelszeug macht mich verrückt.«
    »Das war nicht der Absinth«, gab sie zurück.
    »Klara, bitte.«
    »Mir ist kalt«, sagte sie und schlang die Arme um sich. »Ich möchte zurück zum Haus.«
    Andras fuhr, doch die Beherrschung des Wagens machte ihm keine Freude; als sie ausstiegen, wurde sein Können nicht gefeiert. Klara ging in den Garten und setzte sich auf einen der Holzstühle, die sie herausgeholt hatten. Andras nahm neben ihr Platz.
    »Es tut mir leid«, sagte er. »Ich habe eine Dummheit begangen, es war egoistisch, dich allein am Tisch sitzen zu lassen.«
    Sie schien ihn nicht zu hören. Klara hatte sich an einen fernen Ort zurückgezogen, der zu klein war, um Andras aufzunehmen. »Es ist für dich eine Qual, oder?«, fragte sie. »Mal mehr, mal weniger.«
    »Wovon redest du?«
    »Von allem. Von unserer Beziehung. Von meinen Halbwahrheiten. Von allem, was ich dir nicht erzählt habe.«
    »Hör auf mit diesen unerträglichen Verallgemeinerungen«, sagte er. »Was für Halbwahrheiten? Meinst du die Sache mit Novak? Ich dachte, darüber wären wir hinweg, Klara. Was möchtest du mir noch sagen?«
    Sie schüttelte den Kopf. Dann legte sie die Hand vor die Augen, und ihre Schultern begannen zu beben.
    »Was ist los mit dir?«, fragte er. »Das ist doch jetzt nicht meine Schuld. Das ist doch nicht, weil ich zum Rauchen unten an den Strand gegangen bin, oder?«
    »Nein«, sagte sie und schaute auf, die Augen glänzend vor Tränen. »Ich habe bloß etwas begriffen, als du da unten warst.«
    »Und was?«, fragte er. »Wenn es einen Namen hat, dann sag es mir.«
    »Ich mache alles kaputt«, sagte sie. »Ich bin ein Kaputtmacher. Wenn etwas gut ist, mache ich es schlecht. Wenn etwas schlecht ist, mache ich es noch schlechter. So habe ich es mit meiner Tochter gemacht und mit Zoltán, und jetzt habe ich es auch mit dir getan. Ich habe gesehen, wie unglücklich du warst, als du vom Tisch aufstandest.«
    »Ah, verstehe. Es ist also alles deine Schuld. Du hast Elisabet gezwungen, ihre Probleme zu haben. Du hast Novak gezwungen, seine Frau zu betrügen. Du hast mich gezwungen, mich in dich zu verlieben. Wir drei hatten selbst gar keinen Anteil daran.«
    »Du weißt nicht die Hälfte von dem, was ich getan habe.«
    »Dann erzähl es mir doch! Was ist es? Erzähl es mir!«
    Klara schüttelte den Kopf.
    »Wenn du es nicht erzählst«, fuhr er fort, stand auf und griff nach ihrem Arm, zog sie zu sich hoch. »Wie sollen wir dann weitermachen? Willst du mich immer im Ungewissen lassen? Werde ich irgendwann von deiner Tochter die Wahrheit erfahren?«
    »Nein«, sagte sie, fast zu leise, um verstanden zu werden. »Elisabet weiß nichts von alldem.«
    »Wenn wir zusammen sein wollen, muss ich alles wissen. Du musst dich entscheiden, Klara. Wenn du willst, dass es weitergeht, musst du ehrlich zu mir sein.«
    »Du tust mir weh«, sagte sie.
    »Wer ist es? Sag mir nur, wie er heißt!«
    »Wer?«
    »Der Mann, den du geliebt hast. Elisabets Vater.«
    Sie riss ihren Arm los. Im Mondlicht sah Andras, wie der Stoff ihres Kleides sich über ihre Rippen spannte und dann wieder locker fiel. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Fass mich nie wieder so an!«, sagte sie und begann zu schluchzen. »Ich will nach Hause. Bitte, Andras! Es tut mir leid. Ich will heim nach Paris.« Sie schlang die Arme um sich und zitterte, als hätte sie sich in der kühlen Mittelmeernacht erkältet. Die Haarnadel mit dem Seestern glitzerte wie ein prächtiges Strandgut, ein festlicher Schmuck, der einer Ballnacht auf einem Ozeandampfer entrissen, übers Meer geweht und zufällig in den dunklen Wellen ihres Haares hängen geblieben war.
    Er konnte es sehen: Etwas war über Klara gekommen wie eine Krankheit, etwas, das sie in ihren Grundfesten erschütterte. Er sah es in der Art und Weise, wie sie sich im Landhaus in die Decken kuschelte, wie sie ausdruckslos an die Wand starrte. Sie meinte es ernst, wollte wirklich nach Hause, wollte am Morgen aufbrechen. Eine Stunde lag er mit ihr im Bett, hellwach, bis er hörte, wie ihr Atem in den Rhythmus

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