Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)
der Geldstrafe würden alle Versicherungsleistungen für beschädigtes Eigentum direkt an die Regierung gehen. Fortan war es Juden verboten, in Deutschland ein Geschäft zu betreiben. In Paris, New York und London hatte es Proteste gegen das Pogrom und seine Folgen gegeben, doch die französische Regierung war auffällig still geblieben. Rosen sagte, es läge daran, dass Hitlers Außenminister von Ribbentrop Paris im Dezember einen Besuch abstatten sollte, um einen Freundschaftsvertrag zwischen Deutschland und Frankreich zu unterzeichnen. Es war alles eine riesige hässliche Farce.
Von unten hörte man das Klappern und Flattern der Nachmittagspost, die durch den Briefschlitz fiel. Elisabet sprang so schnell auf die Füße, dass sie ihren Stuhl umwarf, der rückwärts gegen den Kaminschutz fiel. Sie lief nach unten, um die Briefe zu holen.
»Sonst musste ich sie immer mit Lebkuchen bestechen, damit sie die Post holt«, sagte Klara und stellte den Stuhl wieder auf. »Jetzt kann sie keine halbe Minute warten.«
Es dauerte lange, bis Elisabet wieder nach oben kam. Sie tauchte kurz atemlos und mit rotem Gesicht auf, um einige Umschläge auf den Sekretär zu werfen, dann lief sie den Gang hinunter auf ihr Zimmer. Klara setzte sich hin und blätterte die Post durch. Ein Brief, ein dünner cremefarbener Umschlag, schien ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Sie nahm den Brieföffner und schlitzte ihn auf.
»Er ist von Zoltán«, sagte sie und überflog das Blatt. Ihre Augenbrauen zogen sich zusammen, sie las noch einmal, jetzt genauer. »Er und Edith reisen in drei Wochen ab. Er will sich von mir verabschieden.«
»Wohin reisen sie?«
»Nach Budapest«, erwiderte Klara. »Ich habe schon davon gehört. Marcelle sagte, sie hätte gerüchteweise mitbekommen, dass sie fortwollten – das hat sie mir letzte Woche erzählt, als ich sie in den Tuileries traf. Zoltán ist die Leitung der Königlich-ungarischen Oper angeboten worden. Und Madame Novak möchte das Kind in der Nähe ihrer Familie aufwachsen sehen.« Klara presste die Lippen aufeinander und legte eine Hand auf den Mund.
»Bist du so traurig, dass er geht, Klara?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nicht aus dem Grund, den du meinst. Du weißt, wie ich zu Zoltán stehe. Er ist mir ein lieber Freund, ein alter Freund. Und er ist ein guter Mann. Schließlich hat er dir Arbeit gegeben, als das Bernhardt es sich kaum leisten konnte.« Sie setzte sich neben Andras aufs Sofa und nahm seine Hand. »Aber ich bin nicht traurig, dass er geht. Ich freue mich für ihn.«
»Um was geht es dann?«
»Ich bin neidisch«, sagte sie. »Furchtbar neidisch. Er und Edith können in einen Zug steigen und heimfahren. Sie können das Kind zu Ediths Mutter heimbringen und es zusammen mit seinen Cousins großziehen.« Sie glättete ihren grauen Rock über den Knien. »Dieses Pogrom in Deutschland«, sagte sie. »Was ist, wenn so etwas in Ungarn passieren würde? Was, wenn mein Bruder verhaftet würde? Was würde dann aus meiner Mutter?«
»Wenn irgendwas in Ungarn passieren würde, könnte ich nach Budapest fahren und nach deiner Mutter schauen.«
»Aber ich könnte dich nicht begleiten.«
»Vielleicht fänden wir eine Möglichkeit, deine Mutter nach Frankreich zu holen.«
»Selbst wenn, wäre das nur eine Übergangslösung«, sagte Klara. »Für unser größeres Problem, meine ich.«
»Welches größere Problem?«
»Du weißt schon. Das Problem, wo wir gemeinsam leben sollen. Auf lange Sicht, meine ich. Du weißt, dass ich nicht nach Ungarn gehen kann, und du kannst nicht hier bleiben.«
»Warum nicht?«
»Wegen deiner Familie«, sagte sie. »Was ist, wenn es Krieg gibt? Dann würdest du zu ihr zurückwollen. Ich habe schon hundertmal darüber nachgedacht. Du kannst dir bestimmt vorstellen, dass ich im September sehr viel darüber gegrübelt habe. Es war einer der Gründe, warum ich mich nicht überwinden konnte, dir zu schreiben. Ich fand einfach keine Lösung dafür. Ich wusste, wenn wir uns füreinander entschieden, würde ich dich von deiner Familie fernhalten.«
»Wenn ich hierbleibe, dann ist das meine eigene Entscheidung«, sagte Andras. »Aber wenn ich gehen muss, werde ich eine Möglichkeit finden, dich mitzunehmen. Wir gehen zu einem Anwalt. Gibt es nicht eine gewisse Verjährungsfrist?«
Klara schüttelte den Kopf. »Ich kann immer noch in Haft genommen und vor Gericht gestellt werden. Aber selbst wenn ich nach Hause gehen dürfte, könnte ich Elisabet nie
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