Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)
kahl geschoren worden.
Andras hob die Hand und winkte. »Entschuldige, Kamerad«, sagte er. Es machte ihn schwindelig, hier mit Mendel Horovitz in einem Militärkrankenhaus zu sein und Klara gleichzeitig an seiner Seite zu haben. Sein Kopf tat weh. Er lehnte sich gegen das Kissen und ließ sich von Klara die Vitamine und die Brühe verabreichen. Seine Frau. Klara Lévi. Er öffnete die Augen, um sie anzusehen, den vertrauten Schwung ihres Haares über der Stirn, die schlanke Kraft ihrer Arme, die Art, wie sie die Lippen einzog, wenn sie sich konzentrierte, ihre tiefen grauen Augen, die auf ihm ruhten, endlich auf ihm.
Es dauerte nicht lange, bis er einsah, dass der Heimaturlaub nur eine andere Art von Folter war, eine Lektion, die zur Vorbereitung auf eine schwierigere Prüfung gelernt werden musste.
Sein Heimaturlaub begann offiziell bei der Entlassung aus dem Militärkrankenhaus, drei Tage nachdem er eingeliefert worden war. Klara hatte seine Uniform waschen und flicken lassen, und am Tag seiner Entlassung brachte sie ihm das wunderbare Geschenk eines neuen Stiefelpaars. Er hatte neue Unterwäsche, neue Socken und eine neue Schirmmütze mit einem glänzenden Messingknopf darauf. Es war ihm mehr als peinlich, in dieser schönen, sauberen Kleidung vor Mendel Horovitz zu treten. Mendel hatte niemanden, der sich um ihn kümmerte. Er war nicht verheiratet, und seine Mutter war gestorben, als er noch ein kleiner Junge war; sein Vater lebte in Zalaszabar. Als er mit Andras und Klara am Krankenhaustor stand und auf die Straßenbahn wartete, fragte Andras ihn, wie er seinen Urlaub verbringen wolle.
Mendel zuckte mit den Schultern. »Ein alter Stubenkamerad von mir wohnt in Budapest. Bei dem kann ich unterkommen.«
Klara berührte Andras am Arm, sie tauschten einen Blick. Es war kompliziert, so etwas ohne Gespräch zu entscheiden; es war so lange her, dass sie zu zweit gewesen waren. Aber Mendel war ein alter Freund, und in der Zeit bei der 112/30 war er zu Andras’ Familie geworden. Beide wussten, dass Andras es ihm anbieten musste.
»Wir fahren zu meinen Eltern aufs Land«, sagte er. »Die haben Platz, wenn du mitkommen möchtest. Nichts Besonderes. Aber meine Mutter würde sich bestimmt gut um dich kümmern.«
Die Schatten um Mendels Augen verdunkelten sich zu einem Ausdruck der Dankbarkeit. »Das ist lieb von dir, Parisi«, sagte er.
Und so saßen die drei an jenem Morgen gemeinsam in einem Zug nach Konyár. Sie fuhren an Maglód, an Tápiogyörgy, an Újszász vorbei in die Hajduken-Ebene, teilten sich eine Thermoskanne Kaffee und aßen Kirschstrudel. Das Süßsaure der Frucht trieb Andras beinahe Tränen in die Augen. Er nahm Klaras Hand und drückte sie zwischen seinen Händen; sie schaute ihn an, und er spürte, dass sie ihn verstand. Sie war ein Mensch, der den Schockzustand kannte, die Rückkehr aus der Verzweiflung. Er fragte sich, wie sie seine Ahnungslosigkeit so lange hatte ertragen können.
Es war die erste Aprilwoche. Die Felder waren noch kahl und kalt, doch über den Büschen, die sich um die Bauernhäuser drängten, lag schon wieder ein grüner Schleier; die nackten Zweige der Bachweiden hatten eine strahlend gelbe Farbe angenommen. Andras wusste, dass die Schönheit des Grundstücks noch verborgen sein würde, der Hof schlammbedeckt, die knorrigen Apfelbäume leer, der Garten eine Brache. Er bedauerte, dass er Klara den Hof nicht im Sommer zeigen konnte. Doch als sie schließlich ankamen, als sie am vertrauten Bahnhof ausstiegen und das flache, weiß getünchte Haus mit dem dunklen Strohdach erblickten, die Scheune, die Mühle und den Mühlteich, wo er mit Mátyás und Tibor früher Holzboote hatte fahren lassen, kam es Andras vor, als hätte er nie einen schöneren Ort gesehen. Rauch stieg aus dem Schornstein; aus der Scheune kam das gleichmäßige Kreischen einer Kreissäge. Stapel frisch geschnittenen Holzes waren überall im Hof aufgeschichtet. Im Obstgarten reckten die kahlen Apfelbäume ihre Zweige in den Aprilhimmel. Andras ließ seinen Armeerucksack fallen und lief mit Klara an der Hand zur Eingangstür. Er klopfte an die Fensterscheibe und wartete auf seine Mutter.
Eine junge blonde Frau öffnete die Tür. Auf ihrer Hüfte saß ein rotbackiges Kleinkind mit einem aufgeweichten Zwieback in der Hand. Als die Frau Andras und Mendel in ihren Armeejacken erblickte, hoben sich ihre Augenbrauen vor Angst.
»Jenő!«, rief sie. »Komm schnell her!«
Ein untersetzter Mann im Overall kam aus
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