Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)
gekauft hatte; am Freitag begann Pessach.
Pessach. Im vergangenen Jahr war der Feiertag unglaublich schnell gekommen und gegangen: einige orthodoxe Kameraden hatten ein Sedermahl in der Schlafbaracke abgehalten und die Gebete gesprochen, so als hätten sie Wein, Gemüse, Charosset, Matze und Bitterkraut vor sich gehabt, dabei gab es nur Kartoffelsuppe. Vage konnte sich Andras erinnern, dass er das Brot mehrmals abgelehnt hatte, aber dann so schwach wurde, dass er es doch hinuterwürgte. Er hatte sich nicht die Hoffnung gemacht, dass er Pessach dieses Jahr mit seinen Eltern zu Hause in Konyár feiern könnte. Nun führte er Klara und Mendel jedoch die Allee hinunter, die zur Simonffy utca führte, wo seine Eltern nach Aussage des Bäckers wohnten. Dort fanden sie ein altes Mietshaus mit zwei weißen Ziegen im Hof und einem noch blattlosen Weinstock, der sich von Balkon zu Balkon rankte, und im ersten Stock seine Mutter, die die Verandafliesen schrubbte. Ein Eimer heißen Wassers dampfte neben ihr; sie trug eine bedruckte blaue Schürze, und ihre Arme waren bis zu den Ellenbogen rot. Als sie Andras, Klara und Mendel erblickte, stand sie auf und lief nach unten.
Seine kleine Mutter. Im Nu überquerte sie den Hof, immer noch behände, und nahm Andras in die Arme. Ihre flinken dunklen Augen huschten über ihn; sie drückte ihn an ihre Brust und hielt ihn fest. Nach einer Weile ließ sie ihn los und umarmte Klara, nannte sie kislányom , meine Tochter. Schließlich legte sie die Arme um Mendel, der es mit einem gutmütigen Seitenblick auf Andras über sich ergehen ließ; sie kannte Mendel aus Andras’ Schulzeit und hatte ihn immer behandelt, als sei er ihr eigener Sohn.
»Ihr armen Kerle«, sagte sie. »Wie sie euch ausgenutzt haben!«
»Das wird schon wieder, Anya. Wir haben zwei Wochen Heimaturlaub.«
»Zwei Wochen!« Sie schüttelte den Kopf. »Zwei Wochen, nach anderthalb Jahren. Aber wenigstens seid ihr zu Pessach hier.«
»Und was ist das für ein Kerl, der sich in unserem Haus in Konyár eingenistet hat?«
Seine Mutter schlug die Hand vor den Mund. »Ich hoffe, du hast dich nicht mit ihm gestritten.«
»Gestritten?«, sagte Andras. »Ach, woher! Er war reizend. Ich habe ihm die Hand geküsst. Wir sind jetzt Freunde fürs Leben.«
»Oje.«
»Er hat uns mit einer Schrotflinte verjagt«, sagte Mendel.
»Gott, was für ein schrecklicher Mann! Es tut mir weh, wenn ich mir vorstelle, dass er in diesem Haus lebt.«
»Ich hoffe, ihr habt wenigstens einen guten Preis für den Hof bekommen«, meinte Andras.
»Das hat alles dein Vater geregelt«, gab seine Mutter zurück und seufzte. »Er meinte, wir könnten von Glück sagen, das Geld zu bekommen. Hier geht es uns gut. Es ist nicht ganz so viel Hausarbeit. Und ich habe ja noch Kicsi und Noni.« Sie nickte den beiden kleinen Milchziegen zu, die hinter einem Zaun im Hof standen.
»Ihr hättet mich anrufen sollen«, sagte Klara. »Ich hätte euch beim Umzug geholfen.«
Andras’ Mutter senkte den Blick. »Wir wollten dich nicht stören. Wir wussten, dass du mit deiner Ballettschule beschäftigt bist.«
»Ihr seid meine Familie.«
»Das ist lieb von dir«, sagte Andras’ Mutter, doch in ihrer Stimme lag ein gewisser Vorbehalt, fast eine Spur von Ehrerbietung. Im nächsten Moment fragte sich Andras, ob er sich das nur eingebildet hatte, denn seine Mutter nahm Klara beim Arm und führte sie über den Hof.
Die Wohnung war klein und hell, drei Zimmer über Eck mit Glastüren, die auf die Veranda führten. Seine Mutter hatte Grünkohl in Terrakottatöpfe gepflanzt; sie kochte ihn zum Mittagessen und servierte ihn mit Kartoffeln, Eiern und roter Paprika, und Andras und Mendel nahmen ihre Vitamintabletten und aßen ein paar Äpfel, die Klara für sie gekauft hatte, jeder eingeschlagen in ein Viereck grünen Papiers. Beim Essen berichtete seine Mutter ihnen das Neuste von Mátyás und Tibor: Mátyás sei in der Nähe von Abaszéplak stationiert, wo seine Kompanie eine Brücke über den Fluss Torysa baute. Aber das sei noch nicht alles; vor seiner Einberufung habe er im Ananas-Club so großes Aufsehen erregt, als er in weißem Frack und weißer Krawatte auf dem Flügel tanzte, dass der Geschäftsführer ihm einen Zweijahresvertrag angeboten habe. In seinen Briefen schreibe er, dass er immerzu trainiere, jeden Tag – während er mit seinen Kameraden die Torysa-Brücke baue, dachte er sich Schritte aus, abends hielt er die armen Kerle wach, indem er ihnen die tagsüber
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