Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)
»Ich habe die erste Ausgabe verfasst und den Gruppenführer gebeten, sie zu illustrieren. Und von da ging es weiter.«
»Allerdings«, sagte Kálozi. »Sie haben sich Zugang zum Vervielfältigungsapparat beschafft und Dutzende von Exemplaren gedruckt.«
»Als Gruppenführer übernehme ich die volle Verantwortung«, sagte Andras.
»Tut mir leid, Parisi, aber Sie können das Lob nicht alleine ernten. Unser Horovitz ist so begabt, dass wir seine Anstrengungen auch anerkennen müssen.« Kálozi zeigte auf einen Beitrag, den er mit einem angebissenen Stift markiert hatte. »Führerwechsel im Lager Erdei«, las er vor. »Der alte Machthaber, Kommandeur Jánika Kálozi der Schielende, wurde in dieser Woche aufgrund eklatanter Unfähigkeit und peinlichen Benehmens auf Geheiß des Regenten Miklós Horthy persönlich von seinem militärischen Posten enthoben. Bei einer Zeremonie auf dem Exerzierplatz wurde er durch einen für würdiger erachteten Führer ersetzt, einen männlichen Pavian namens Rotarsch. Der Kommandeur wurde unter ohrenbetäubenden Blähungen und Applaus vom Exerzierplatz geführt.« Kálozi drehte die Zeitung um, damit sie Andras’ Zeichnung des Majors sehen konnten, der auf hohen Absätzen schielend dahertrippelte, obenherum in Paradeuniform, unten in Damenunterwäsche, neben ihm sein Oberleutnant, ein unverkennbar eberköpfiger Mann, im Hintergrund ein Affe mit rotem Hinterteil, der vor den versammelten Arbeitsmännern salutierte.
Andras musste ein Grinsen unterdrücken. Diese Zeichnung mochte er besonders gern.
»Worüber lachen Sie, Gruppenführer?«
»Über nichts, Herr Major«, sagte Andras. Er kannte Kálozi nun seit anderthalb Jahren und wusste, dass er ein weiches Herz hatte; er schien sogar in gewisser Weise stolz auf die Weigerung zu sein, harte Strafen zu verhängen. Andras hatte gehofft, Kálozi würde gerade diese Ausgabe der Schneegans nicht in die Finger bekommen, hatte aber auch nicht unbedingt vor Angst gezittert, als er das Bild gemalt hatte.
»Ich habe nichts dagegen, hin und wieder zu lachen«, sagte Kálozi, »aber es geht nicht, dass sich die Männer über mich lustig machen. Diese Kompanie wird im Chaos untergehen.«
»Ich verstehe, Herr Major«, sagte Andras. »Wir meinten es nicht böse.«
»Was wisst ihr schon vom Bösen?«, fragte Kálozi und erhob sich von seinem Stuhl. Eine Ader an seiner Schläfe hatte zu pochen begonnen; zum ersten Mal seit Betreten des Büros spürte Andras eine gewisse Angst. »Im Großen Krieg hätte ein Offizier einen Mann, der sich so etwas ausdenkt, auspeitschen lassen.«
»Sie waren immer sehr gut zu uns«, sagte Andras.
»Das stimmt. Ich habe euch verflohte Juden verwöhnt. Ich habe euch mit Kleidung und Nahrung versorgt, habe euch an kalten Tagen im Bett liegen lassen, euch einfach nicht hart genug angefasst. Und als Dank dafür produzieren Sie diesen Dreck und verteilen ihn in der ganzen Kompanie.«
»Nur zum Spaß, Herr Major«, sagte Mendel.
»Damit ist Schluss. Nicht auf meine Kosten.«
Andras drückte mit der Zunge gegen seine wackligen Zähne. Der Schmerz strahlte tief in sein Zahnfleisch aus, und er bekämpfte den Drang, einfach davonzulaufen. Stattdessen richtete er sich zu seiner vollen Größe auf und sah Kálozi in die Augen. »Ich möchte mich aufrichtig entschuldigen«, sagte er.
»Warum entschuldigen?«, fragte Kálozi. »In gewisser Weise haben Sie dem Munkaszolgálat einen großen Dienst erwiesen. Offenbar gibt es Menschen, die Lügen über die üble Misshandlung von Arbeitsmännern in unseren nationalen Streitkräften verbreiten. Ein Käseblatt wie das hier ist ein aussagekräftiger Gegenbeweis.« Er rollte ein Exemplar der Schneegans zu einem starren Rohr zusammen. »Der Arbeitsdienst fördert Kameradschaft und Humor et cetera. Die Bedingungen sind so human, dass die Männer die Freiheit haben, zu scherzen und zu lachen und sich über ihre Situation lustig zu machen. Sie hatten ja sogar Schreibmaschinen, Zeichengeräte und einen Vervielfältigungsapparat zur Verfügung. Redefreiheit. Wir sind praktisch Franzosen.« Er grinste, weil alle wussten, was aus der Redefreiheit in Frankreich geworden war.
»Aber es gibt schon etwas, was ich von Ihnen verlange«, fuhr Kálozi fort. »Ich denke, Sie werden es angesichts der Situation für gerecht halten. Da Sie mich öffentlich gedemütigt haben, erscheint es mir angebracht, Sie dafür öffentlich zu bestrafen.«
Andras schluckte. Mendel neben ihm war blass geworden. Beide
Weitere Kostenlose Bücher