Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)
machen können, was sie getan hat. Doch sie wurde im Leben schon genug bestraft. Sie hatte einen schrecklichen Tod. Mein Sohn und ich mussten ansehen, was sie durchmachte. Nehmen Sie das mit zum Arbeitsdienst, wenn Sie etwas brauchen, um Ihr Mütchen zu kühlen.«
Andras drehte seine Mütze, völlig überwältigt. Er musste sich zusammenreißen, um nicht vom Stuhl zu rutschen. Als Novak merkte, dass er Andras zum Schweigen gebracht hatte, wurde er etwas milder. »Sie fehlt mir«, sagte er. »Ich war nie so gut zu ihr, wie sie verdient gehabt hätte. Wahrscheinlich ist es meine eigene Schuld, die mich Ihnen gegenüber so garstig macht.«
»Ich hätte nicht herkommen sollen«, sagte Andras.
»Ich bin froh darüber. Ich bin froh zu hören, dass Klara noch geschützt ist, immerhin. Ich habe mich bemüht, nichts über sie zu erfahren, aber jetzt bin ich doch froh, es zu wissen.« Er begann heftig zu husten, musste sich die Augen wischen und einen Schluck Tee trinken. Nach einer kurzen Pause sah er Andras fest an. »In einem Monat bin ich hier weg, Lévi. Ich wurde auch eingezogen.«
»Wo eingezogen?«
»Zum Arbeitsdienst.«
»Das kann nicht sein«, sagte Andras. »Sie sind doch nicht mehr im wehrfähigen Alter. Sie haben Ihre Stellung hier in der Oper. Sie sind nicht mal Jude.«
»Für die bin ich jüdisch genug«, gab Novak zurück. »Meine Mutter war Jüdin. Ich bin als junger Mann konvertiert, aber das interessiert jetzt niemanden mehr. Ich hätte diese Stellung nach den Änderungen der Rassegesetzgebung schon nicht mehr behalten dürfen, aber ein paar Freunde im Kulturministerium haben nicht so genau hingeschaut. Die haben ihre Stellungen inzwischen auch alle verloren. Was meine gesellschaftliche Position angeht, die ist ja gerade das Problem. Sie soll mir genommen werden. Offenbar gibt es eine neue geheime Quote für Arbeitsbataillone. Ein gewisser Prozentsatz der Dienstpflichtigen muss aus sogenannten ›prominenten Juden‹ bestehen. Ich werde in erlauchter Gesellschaft sein. Mein Kollege vom Symphonieorchester wurde in dasselbe Bataillon berufen, und wir haben gerade erfahren, dass der ehemalige Direktor des Ingenieurkollegs auch zu uns stoßen wird. Unser Alter ist unerheblich. Unsere Tauglichkeit ebenso. Ich habe die Schwindsucht nie ganz auskurieren können, die mich ’37 hierher zurückführte. Sie haben den Arbeitsdienst selbst erlebt; Sie wissen so gut wie ich, dass ich wohl nicht zurückkommen werde.«
»Man wird Ihnen bestimmt keine harte Arbeit geben«, sagte Andras. »Vielleicht bekommen Sie eine Stelle im Büro oder so.«
»Ach, Andras«, sagte Novak mit einem Anflug von Tadel. »Wir wissen beide, dass das nicht stimmt. Es wird kommen, wie es kommt.«
»Was ist mit Ihrem Sohn?«, fragte Andras.
»Ja, was ist mit meinem Sohn?«, wiederholte Novak. »Was ist mit ihm?« Seine Stimme versagte, und sie saßen gemeinsam da, ohne ein Wort zu sprechen. Vor Andras’ Augen erschien das Bild seines eigenen Kindes, dieses Jungen oder Mädchens, das im Schneidersitz in Klaras Bauch saß, dieses Kind, das vielleicht nie geboren werden oder das, einmal geboren, vielleicht nie das Säuglingsalter überleben würde oder das nur leben würde, um die Welt in Flammen aufgehen zu sehen. Novak, der Andras beobachtete, nahm den neuen Kummer in ihm wahr.
»So«, sagte er schließlich. »Sie verstehen mich. Sie sind also auch Vater.«
»Bald«, sagte Andras. »In wenigen Monaten.«
»Und bis dahin sind Sie mit dem Arbeitsdienst fertig?«
»Wer weiß? Alles ist möglich.«
»Das wird schon werden«, sagte Novak. »Sie werden es nach Hause schaffen. Sie werden bei Klara und dem Kind sein. György wird weiterhin zahlen, und die Behörden werden stillhalten. Schließlich wollen sie nicht Klara, sondern das Geld. Wenn Klara vor Gericht gestellt würde, käme auch die Sache mit der Bestechung ans Licht.«
Andras nickte, hätte es gerne geglaubt. Er wunderte sich, dass er sich beruhigte, und schämte sich dann, dass es Novak war, der ihn beruhigte – Novak, der außer seinem kleinen Sohn alles verloren hatte. »Wer wird sich um Ihren Sohn kümmern?«, fragte er erneut.
»Ediths Eltern. Und meine Schwester. Zum Glück sind wir rechtzeitig hergekommen«, sagte Novak. »Wenn wir in Frankreich geblieben wären, säßen wir jetzt vielleicht in einem Internierungslager. Mit dem Jungen. Sie verschonen die Kinder nicht.«
»Oh, Gott«, sagte Andras und legte den Kopf in die Hände. »Was wird nur aus uns werden? Aus uns
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