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Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)

Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)

Titel: Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Orringer
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Tür dröhnte ein tiefes Husten. Andras hob die Hand, um anzuklopfen, ließ sie jedoch wieder sinken. Nun, da er vor dieser Schwelle stand, verließ ihn der Mut. Er hatte keine Vorstellung, was er zu Zoltán Novak sagen sollte. Drinnen ertönte wieder ein tiefes Husten, dann ein drittes Mal, jetzt näher. Die Tür ging auf, und Andras stand vor Zoltán Novak. Er war blass und ausgezehrt, in seinen Augen glänzte etwas, das wie Fieber aussah; sein Schnurrbart hing herab, und der Anzug schlotterte an seinem Körper. Als er Andras erblickte, sackten seine Schultern nach vorn.
    »Lévi«, sagte er. »Was machen Sie denn hier?«
    »Weiß nicht«, sagte Andras. »Ich schätze, ich wollte mit Ihnen reden.«
    Lange stand Novak vor Andras, musterte die Uniform vom Munkaszolgálat und die anderen Veränderungen, die damit einhergingen. Mühsam stieß er den Atem aus, dann hob er den Blick zu Andras.
    »Ich muss sagen, Sie sind der Letzte, den ich vor meiner Tür erwartet habe«, sagte er. »Und um ganz ehrlich zu sein, auch einer der Letzten, den ich hätte sehen wollen. Aber da Sie nun hier sind, können Sie genauso gut hereinkommen.«
    Ohne nachzudenken, folgte Andras Novak in das düstere Heiligtum seines Büros und blieb vor einem großen lederbezogenen Schreibtisch stehen. Novak winkte in Richtung eines Stuhls, und Andras nahm die Mütze ab und setzte sich. Sein Blick streifte die Regale mit den Libretti, den Kontenbüchern, den Fotografien von Opernlegenden in Kostümen. Es war eine kleinere, dunklere Version des Büros aus dem Sarah-Bernhardt.
    »Nun«, sagte Novak. »Sie können mir ebenso gut sagen, was Sie herführt, Lévi.«
    Andras nestelte an seiner Munkaszolgálat-Mütze herum. »Ich habe heute Nachmittag etwas erfahren«, sagte er. »Ich habe eben erfahren, dass Ihre Frau Klaras Identität der ungarischen Polizei verraten hat.«
    »Das haben Sie erst heute Nachmittag gehört?«, fragte Novak. »Aber das ist schon über zwei Jahre her.«
    Andras’ Gesicht begann rot zu leuchten, doch er wandte den Blick nicht von Novak ab. »György Hász hat dafür gesorgt, dass ich nichts erfuhr. Ich war heute bei ihm, um ihn zu fragen, ob er dabei helfen könnte, meinen Bruder vom Dienst an der Front zu befreien, aber er sagte mir, seine Gelder seien gebunden, sie stellten sicher, dass meine Frau nicht ins Gefängnis käme.«
    Novak stand auf, um sich aus der Karaffe auf dem Ecktisch ein Glas einzuschenken. Er sah sich über die Schulter zu Andras um. Der schüttelte den Kopf.
    »Ist nur Tee«, sagte Novak. »Ich kann keinen Alkohol mehr vertragen.«
    »Nein, danke«, sagte Andras.
    Novak kehrte mit dem Teeglas zum Schreibtisch zurück. Sein Gesicht war blass und eingefallen, doch in seinen Augen flackerte ein schreckliches, bitteres Licht, dessen Ursache Andras gar nicht kennen wollte. »Die Regierung ist sehr geschickt im Erpressen«, sagte Novak.
    »Dank Edith ist Klaras Leben in Gefahr«, sagte Andras. »Und während wir hier sitzen, fährt mein Bruder in einem Zug nach Belgorod. Ich muss morgen früh wieder bei meiner Kompanie in Bánhida sein und kann nichts gegen all das tun.«
    »Wir haben alle unser Päckchen zu tragen«, sagte Novak. »Das ist Ihres. Ich habe meines.«
    »Wie können Sie nur so reden?«, sagte Andras. »Schließlich war es Ihre Frau, die das angerichtet hat. Und es würde mich nicht wundern, wenn Sie dabei die Finger im Spiel gehabt hätten.«
    »Edith hat das getan, was sie sich in den Kopf gesetzt hatte«, gab Novak knapp zurück. »Sie hörte von einer Freundin, dass Klara wieder in der Stadt sei. Dass sie geheiratet hätte, aber dass ihr Mann beim Arbeitsdienst wäre. Wahrscheinlich nahm sie an, dass wir sofort wieder Kontakt aufnehmen würden.« In seinen Worten lag bittere Ironie. »Edith wollte Klara das zufügen, was sie ihrer Meinung nach verdient hatte. Sie dachte, es wäre eine einfache Angelegenheit, doch sie rechnete nicht damit, dass das Justizministerium sich so bereitwillig bestechen ließ. Als sie von der finanziellen Regelung mit Ihrem Schwager hörte, wurde sie fuchsteufelswild.«
    »Und jetzt? Woher soll ich wissen, dass sie nicht noch mehr anstellt, noch Schlimmeres?«
    »Edith ist letztes Frühjahr an Eierstockkrebs gestorben«, sagte Novak. Er sah Andras herausfordernd an, als warne er ihn, bloß kein Mitleid zu zeigen.
    »Das tut mir leid«, sagte Andras.
    »Ersparen Sie mir Ihr Beileid. Wenn es Ihnen leidtut, dann nur weil Sie Edith jetzt nicht mehr für das verantwortlich

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