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Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)

Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)

Titel: Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Orringer
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hier?« Er wies auf Andras. »Den habe ich schon einmal diszipliniert. Er wagte es bei einer früheren Gelegenheit, unverschämt zu mir zu sein. Und hier steht er schon wieder.«
    »Was war das für eine frühere Gelegenheit?«, erkundigte sich der General mit, wie Andras fand, einem Anflug von Spott, fast so als freue es ihn zu hören, dass jemand unverschämt zu Barna gewesen war.
    Doch Barna schien diesen Unterton nicht zu bemerken. »Das war, als er hier ankam«, erklärte er und sah Andras mit zusammengekniffenen Augen an. »Dachtest du, ich hätte das vergessen, Lévi? Ich musste ihm seinen Dienstgrad aberkennen.« Barna lächelte den älteren Vorgesetzten an. »Er protestierte dagegen, deshalb bestrafte ich ihn.«
    »Warum wurde ihm der Dienstgrad aberkannt?«
    »Weil er seine Vorhaut verloren hatte«, erwiderte Barna.
    Der ganze Raum brach in Gelächter aus, nur der General sah stirnrunzelnd auf seinen Teller. Auch das schien an Barna vorbeizugehen. »Jetzt ist er mit einer wichtigen Bitte zu uns gekommen«, fuhr er fort. »Tritt doch mal vor und erkläre dein Anliegen, Lévi!«
    Andras gehorchte. Auf keinen Fall würde er sich von Barna einschüchtern lassen, auch wenn sein Blut ohrenbetäubend in den Schläfen pulsierte. Er hielt das Telegramm in der geballten Faust. »Bitte um Erlaubnis für Familiensonderurlaub, Herr Major«, sagte er.
    »Was ist denn so dringend?«, fragte Barna. »Muss deine Frau es unbedingt besorgt bekommen?«
    Noch mehr Gelächter von den Männern.
    »Sie können mir glauben, dass sich das Problem von alleine löst«, sagte Barna. »Ist immer so.«
    »Mit Ihrer Erlaubnis, Herr Major«, setzte Andras erneut an, die Stimme bebend vor Zorn.
    »Was hast du da in der Hand, Lévi? Adjutant, bring mir mal den Zettel!«
    Der Adjutant trat auf Andras zu und nahm ihm das Telegramm aus der Hand. Andras hatte noch nie solch vollkommene Demütigung und solch rasenden Zorn empfunden. Er war keine zweieinhalb Meter von Barna entfernt; in null Komma nichts hätte er die Hände um die Kehle des Majors gelegt. Der Gedanke tröstete ihn ein wenig, während er zusah, wie Barna das Telegramm überflog. Nachdenklich und überrascht hob der Major die Augenbrauen.
    »Was lesen wir denn da?«, sagte er zu der versammelten Mannschaft. »Frau Lévi hat gerade ein Kind bekommen. Lévi ist Vater geworden.«
    Applaus von den Männern, Pfiffe und Gejohle.
    »Aber das Kind ist sehr krank. Komm sofort nach Hause . Das hört sich nicht gut an.«
    Andras kämpfte gegen den Impuls, sich auf Barna zu stürzen. Er biss sich auf die Lippe und richtete den Blick zu Boden. Sein Leben jetzt aufs Spiel zu setzen, wäre einfach nur töricht gewesen.
    »Na, dann ist es ja sinnlos, Ihnen Sonderurlaub zu gewähren, oder?«, sagte Barna. »Wenn der Junge wirklich so krank ist, können Sie ja auch nach Hause fahren, wenn er tot ist.«
    Ein schweres Schweigen erfüllte Andras’ Ohren wie ein vorbeirasender Zug. Barna sah sich im Raum um, die Hände auf den Tisch gestützt. Die Männer schienen zu spüren, dass sie wieder lachen sollten, es gab verlegenes Schmunzeln hier und dort.
    »Sie sind entlassen, Lévi«, sagte Barna. »Ich würde jetzt gerne meinen Kaffee genießen.«
    Bevor sich jemand rühren konnte, schlug der ältere General mit der Hand auf den Tisch. »Das ist eine Schande!«, sagte er und erhob sich, die Stimme grollend vor Zorn. Unter schweren Brauen warf er Barna einen finsteren Blick zu. »Sie sind eine Schande.«
    Barna grinste schief, als sei das alles ein Scherz.
    »Grinsen Sie mich nicht so an, Major«, sagte der General. »Entschuldigen Sie sich auf der Stelle bei diesem Arbeitsmann!«
    Barna zögerte kurz, dann nickte er dem Wachmann zu, der Andras hereingeführt hatte. »Entfernen Sie diesen Trottel aus meinem Blick!«
    »Haben Sie mich nicht verstanden?«, sagte der General. »Ich habe Ihnen befohlen, sich zu entschuldigen.«
    Barnas Augen schossen von Andras zum General und weiter zu den Offizieren an ihren Tischen. »Wir sind fertig damit, Herr General«, sagte er mit gedämpfter Stimme, doch Andras war nah genug, um ihn zu verstehen.
    »Sie sind nicht damit fertig, Major«, sagte der General. »Steigen Sie von dieser Plattform hinunter und entschuldigen Sie sich bei dem Mann!«
    »Verzeihen Sie bitte?«
    »Sie haben gehört, was ich gesagt habe.«
    Schweigend saßen die Offiziere da und sahen zu. Barna stand lange reglos, schien einen inneren Krieg auszufechten; seine Farbe wechselte von Rot zu Purpur

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