Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)
Welt gehörte jetzt den Menschen. Sie nutzten sie für ihre Zwecke, lebten oder starben durch ihre eigenen Taten. Andras berührte Klaras Hand, und sie schlug die Augen auf.
General Martóns durchaus beachtlicher Einfluss konnte Andras nicht vor dem Arbeitsdienst bewahren. Er konnte Andras’ Einberufung nicht einmal aufschieben. Doch er bewahrte ihn davor, an die Ostfront geschickt zu werden, und dieselbe Milderung erreichten sie für Mendel Horovitz, der zur gleichen Zeit einberufen worden war. Andras und Mendel wurden der Kompanie 79/6 des Budapester Arbeitsdienstsbataillons zugeteilt. Die Kompanie war auf einem Verladebahnhof in der Nähe von Budapest stationiert, sodass die Männer, die in der Stadt wohnten, zu Hause schlafen konnten statt in den Baracken am Einsatzort. Jeden Morgen stand Andras um vier Uhr auf und trank seinen Kaffee in der dunklen Küche beim Licht des Ofens; dann warf er sein Bündel über die Schulter, nahm den Henkelmann mit dem Essen, das Klara am Vorabend für ihn zubereitet hatte, und schlüpfte vor Sonnenaufgang hinaus in die Kälte, um Mendel zu treffen. Statt sich nun im Büro des Jüdischen Journals zu melden, gingen sie den ganzen Weg zum Fluss zu Fuß und überquerten die Kettenbrücke, wo die Steinlöwen auf ihren Sockeln ruhten und Roma-Frauen in schwarzen Kopftüchern und Mänteln schliefen, die Arme um ihre schmalgliedrigen Kinder geschlungen. In jener Stunde schwebte ein Nebel über den Wassern der Donau, stieg von den kreiselnden Strudeln auf. Manchmal schob sich ein Lastkahn vorbei, sein tiefer, flacher Rumpf teilte den Dunst, und sie erblickten die Frau des Kahnführes, die vor einer glühenden Kohlepfanne stand und Kaffee kochte. Am anderen Flussufer stiegen sie dann in die Straßenbahn nach Óbuda, wo sie den Bus nahmen, der sie nach Szentendre brachte. Oft legten sie die Fahrt schweigend zurück; das Thema, das sie meistens im Kopf hatten, konnte nicht in der Öffentlichkeit diskutiert werden. Andras hatte Nachricht von Shalhevet erhalten, das Immigrationsamt habe positiv auf ihre ersten Erkundigungen reagiert, der Vorgang komme schneller voran als erwartet. Es gebe Anlass zur Hoffnung, dass sie zu Mittsommer Papiere in den Händen halten könnten. Aber was dann? Andras wusste nicht, ob er zu hoffen wagen sollte, dass Klein ihnen helfen würde, er wusste nicht, wie viel die Reise kosten würde oder wie viele Visa Shalhevet besorgen könnte. Und obwohl der Frühling nun in seiner ganzen Pracht Einzug gehalten hatte, war noch immer kein Wort von Mátyás gekommen. Györgys jüngste Erkundigungen waren ergebnislos verlaufen. Andras konnte unmöglich über die Emigration aus Ungarn nachdenken, während sein Bruder in Russland verschollen war, vielleicht tot, vielleicht von den Sowjets gefangen genommen. Aber da nun der Frühling gekommen war, mochte Mátyás jeden Tag auftauchen. Die Hoffnung, dass sie in drei oder sechs Monaten alle zusammen ausreisen könnten, war nicht völlig unberechtigt. In einem Jahr könnten Andras und seine Brüder in einem palästinensischen Orangenhain zur Arbeit gehen, vielleicht in einem der Kibbuzim, von denen Rosen geschrieben hatte, Degania oder Ein Harod. Oder sie würden für die Briten kämpfen – Mendel hatte gehört, dass es ein Bataillon gebe, das sich aus Mitgliedern des Jischuw zusammensetzte, der jüdischen Bevölkerung in Palästina.
Wenn der Bus Szentendre erreichte, stiegen sie mit den anderen Männern aus – ihre Kameraden, die in Óbuda oder Rómaifürdő zugestiegen waren – und liefen den letzten Kilometer zum Verladebahnhof. Die ersten Lastwagen fuhren um sieben Uhr vor. Die Fahrer rollten die Planen hoch, und zum Vorschein kamen geschnürte Würfel aus Decken, Steigen voller Kartoffeln, Ballen von Armeeplane, Kisten mit Munition oder was auch immer es war, das an dem Tag zur Front befördert werden sollte. Andras, Mendel und ihre Kameraden mussten die Ware von den Lastern in die Güterwagen laden, die mit gähnend weit geöffneten Türen im zunehmenden Tageslicht auf den Schienen warteten. Wenn sie mit einem Güterwagen fertig waren, machten sie mit dem nächsten weiter. Doch der Ablauf ging nicht so reibungslos vonstatten, wie es den Anschein hatte. Die beladenen Waggons wurden nicht verschlossen; sie blieben offen und rollten in einen Maschinenschuppen, wo sie inspiziert wurden. Zumindest hatte man das Andras und Mendel so erklärt, als der Aufseher sie an die Arbeit geschickt hatte: Wenn die Waggons beladen wären,
Weitere Kostenlose Bücher