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Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)

Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)

Titel: Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Orringer
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schwebten vorbei wie die Asche eines Feuers. Die Schlacht um Stalingrad schleppte sich dahin, forderte jede Woche Zehntausende von Menschenleben; eine Einheit der ungarischen zweiten Armee kämpfte in Woronesch um ihr Leben, stark bedrängt von den überlegenen Sojwets. Die Männer der 79/6 schaufelten sich voran zur Front, auch wenn sie so fern schien wie der Rest der Welt. Manchmal schaufelten sie die ganze Nacht, während grelle Flüche durch den Nordhimmel zuckten. Die Männer dachten an ihre Frauen oder Freundinnen, die in Budapest in ihren warmen Betten lagen, die Beine glatt und weich, die Brüste schlummernd unter den Nachthemden, die verschränkten Hände duftend wie Liebesbriefe. In Gedanken wiederholten die Arbeiter die Namen jener fernen Frauen, doch nie ließ der Würgegriff dieser Sehnsucht nach, selbst dann nicht, wenn die Namen nur noch Abstrakta waren und die Männer sich fragen mussten, ob diese Frauen überhaupt noch existierten, falls man bei ihrem Leben noch von Existenz sprechen konnte, so weit entfernt, jenseits des Granitgrinsens der Karpaten, hinter der flachen kalten Ebene des ungarischen Winters. Klara war der Klang einer Schaufel, die in gefrorenen Schnee stieß, das Kratzen des Blattes über den harten Boden. Andras redete sich ein, wenn er nur diese eine Straße räumen könnte, wenn er nur den einen Weg für die Lastwagen freihalten könnte, die zur Ostfront eilten, dann würde der Krieg in die andere Richtung ziehen und dort stattfinden, weit entfernt von Ungarn, Klara und Tamás.
    Doch Mitte Januar ging etwas schief. Der Verkehr, der bis dahin hauptsächlich in Richtung Russland geflossen war, wurde allmählich gegenläufig. Zuerst war es nur ein Tröpfeln: einige Wagenladungen mit Nachschub, einige Kompanien Fußsoldaten in Transportfahrzeugen. Nach einer Weile wurde es ein steter Strom von Männern, Lastwagen und Waffen. Ende Januar dann kam die Flut, und sie war rot vor Blut. Es kamen Rote-Kreuz-Fahrzeuge voll toter oder schwerstverletzter Männer, Opfer der Schlacht, die nun seit fünf Monaten in Stalingrad tobte, seit August 1942. Eines Abends gab es die Nachricht, dass die ungarische zweite Armee zusammen mit Tausenden ihr zugeteilter Zwangsarbeiter in Woronesch eine brutale, finale Niederlage erlitten hatte. Andras erhielt die Meldung zusammen mit seiner Brotration und dem Klecks Margarine. So hungrig er auch war, schenkte er seine Portion József und setzte sich in eine Ecke der Scheune, wo sie in der Nacht untergekommen waren. Sie teilten sich den Raum mit zwei Dutzend Schwarzkopfschafen, deren Wolle man für den Winter hatte lang wachsen lassen. Die Schafe schnüffelten an Andras herum, legten sich mit ihren verstaubten Körpern ins Heu, gaben ihre bebenden Rufe von sich, schnupperten mit ihren schwarzen Samtnasen aneinander. Es war nicht nur der Vermesser Szolomon, an den Andras dachte; er dachte auch an Mátyás, der damals der ungarischen zweiten Armee unterstellt worden war. Wenn er den letzten Winter überlebt hatte, konnte er einer der fünfzigtausend sein, die in Woronesch stationiert waren. Andras stellte sich vor, wie seine Eltern irgendwann die gefürchtete Nachricht erhielten, wie seine Mutter mit dem Telegramm in der Hand in der Küche der Debreciner Wohnung stand und sein Vater in seinem Sessel zusammengesackt war wie ein leerer Handschuh. Andras war erst seit vierzehn Monaten Vater, doch er ahnte, was es hieß, einen Sohn zu verlieren. Er dachte an Tamás, an seine vertrauten Haarwirbel, an seinen schnellen Herzschlag, an die faltige Landschaft seines Körpers. Dann legte er den Kopf auf die Knie und sah Mátyás mit flatterndem blauen Hemd auf dem Geländer der Budapester Straßenbahn stehen.
    Er schluckte das knotige raue Seil hinunter, das in seinem Hals festsaß, und legte den Arm vor die Augen. Er würde nicht trauern, sagte er sich. Nicht bevor er Gewissheit hatte.
    Der blutige Fluss nahm kein Ende, und es dauerte nicht lange, bis er Andras und József und den Rest der 79/6 mitriss und gen Westen trug, zurück nach Ungarn. Bruchstückweise trieben Arbeitsdienstkompanien vorbei, Männer in albtraumhaften Stadien der Abmagerung. Da die 79/6 regelmäßig versorgt worden war, brachte sie jeden Abend Essen zu den Zwangsarbeitern, die fast tot waren, die von ihren Kommandeuren im Stich gelassen worden waren, die keinen Auftrag mehr hatten, sondern nur noch Richtung Heimat fliehen mussten. Die Männer erhielten weitere Nachrichten über das, was in Stalingrad

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