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Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)

Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)

Titel: Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Orringer
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Ein Hund schnüffelte an den geschwärzten Stahlrippen der Tragfläche und trottete dann die Straße hinunter.
    Gemeinsam gingen sie in Richtung Nefelejcs utca weiter, zu den Häusern, in denen ihre Familien gelebt hatten – wo József sich von seiner Mutter und Großmutter verabschiedet hatte, wo Tibor und Ilana nach Andras’ Rückkehr gewohnt hatten, wo Andras und Klara in der Nacht vor seiner Abreise zusammen im Badezimmer gekauert hatten. Sie bogen an der Thököly út um die Ecke und gingen an dem Gemüsehändler vorbei, der kein Gemüse hatte, vorbei an dem Süßwarenladen, der keine Süßwaren anbot. An der Ecke von Nefelejcs utca und István út lag ein Trümmerhaufen, ein Berg aus Gips, Steinen, Holz, Ziegeln und Kacheln. Auf der anderen Straßenseite, wo Józsefs Familie, Tibor und Ilana gelebt hatten, war überhaupt nichts. Nicht mal eine Ruine. Andras stand da und machte große Augen.
    Später würde er über sich sagen: »Das war der Moment, wo ich den Kopf verlor.« Besser konnte er dieses Gefühl nicht beschreiben: Sein Kopf hatte sich von seinem Körper abgetrennt, war wie die evakuierten Kinder Europas an einen trostlosen, fernen, sicheren Ort geschickt worden. Sein Körper sackte auf der Straße zusammen. Andras wollte an seiner Kleidung reißen, musste aber feststellen, dass er sich nicht bewegen konnte. Er wollte nicht auf József hören, wollte nicht erwägen, dass seine Frau und sein Kind – oder auch seine Kinder – das Haus verlassen haben mochten, bevor es zerstört worden war. Er konnte nichts und niemanden sehen. Passanten machten einen Bogen um ihn, während er auf dem Pflaster kniete.
    Dort wäre er vielleicht eine Stunde oder zwei oder fünf hocken geblieben. József setzte Andras auf einen umgekippten Hohlblockstein und wartete. Andras nahm ihn wie ein feines Band wahr, eine dünne Faser, die ihn gegen seinen Willen mit dem verband, was noch von der Welt übrig war. Seine Augen starrten auf die verkohlten Fundamente und füllten sich mit Tränen, trockneten, füllten sich erneut. Und dann löste sich ein vertrautes Geräusch aus dem Nebel seiner abgestumpften Sinne: das Trippeln kleiner Hufe auf dem Pflaster, das Klingeln zweier Glöckchen. Das Geräusch kam näher, bis es ihn erreichte, dann verstummte es. Andras hob den Blick.
    Es war die zierliche Großmutter von Miklós Klein mit ihrem Ziegenkarren, jetzt weiß gestrichen.
    »Mein Gott«, sagte sie und starrte ihn an. »Ist das Andras? Ist das Andras Lévi?«
    Er nahm ihre Hand und küsste sie. »Sie erinnern sich an mich«, sagte er. »Gott sei Dank. Wissen Sie vielleicht etwas über meine Frau? Klara Lévi? Können Sie sich noch an sie erinnern?«
    »Steh auf«, sagte die Alte. »Kommt mit zu meinem Haus.«
    Das Haus in der Frangepán köz stand in seinem uralten Schweigen da, in einem Staubnebel im zähen Licht des Spätnachmittags. Auf dem Hof stieß ein Quartett kleiner Zicklein gegen einen Eimer mit Brotkrusten. Andras lief über die Steinplatten zur Tür, die offen stand, als solle sie Luft hereinlassen. Drinnen auf dem Sofa, wo Andras beim ersten Mal auf Klein gewartet hatte, lag seine Frau Klara Lévi und schlief, lebendig. Am anderen Ende des Sofas war sein Sohn Tamás, tief schlummernd, die Lippen geöffnet. Andras kniete sich neben sie, als wolle er beten. Tamás’ Haut war im Schlaf gerötet, seine Stirn rosa, seine Pupillen flatterten unter den Lidern. Klara schien weiter fort zu sein, atmete kaum sichtbar, ihre Haut ein leuchtender weißer Film über ihrem schwach pochenden Leben. Ihr Haar hatte sich aus seinem Knoten gelöst und lag als verdrehtes Seil auf ihrer Schulter. Ihr Arm war um ein schlafendes Kind in einer weißen Decke gelegt, die Hand des Säuglings ein offener Stern auf Klaras halb nackter Brust.
    Mein Nordstern, dachte Andras. Mein Ruhepol.
    Klara rührte sich, schlug die Augen auf, blickte auf das Baby hinab und lächelte. Dann bemerkte sie die Gegenwart einer anderen Person im Raum, eine ungewohnte Silhouette. Instinktiv zog sie die Bluse über ihre Brust und bedeckte die feuchte weiße Haut.
    Sie hob den Blick zu Andras und blinzelte, als sei er bei den Toten. Sie drückte mit Daumen und Zeigefinger auf ihre Augen und schaute wieder hin.
    Andras.
    Klara.
    Sie flüsterte den Namen des anderen in diesen uralten Raum, in diesen Staubsturm antiken Sonnenlichts; ihr kleiner Junge, ihr Sohn, schreckte aus dem Schlaf auf und begann vor Angst zu weinen, unfähig, zwischen Freude und Trauer zu

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