Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)
hatte sich hastig das Haar gelegt und die Bluse falsch zugeknöpft. In der Tür zum Vorderzimmer blieb sie stehen und winkte Andras mit einer dringenden Handbewegung nach draußen. Er stand vom Sofa auf, entschuldigte sich mit einer angedeuteten Verbeugung und folgte Elisabet den Gang hinunter. Sie führte ihn in Józsefs Schlafzimmer, wo eine Sintflut von Mänteln das Bett überschwemmte und sich auf dem Boden sammelte.
»Also gut«, begann sie und verschränkte die Arme vor der Brust. »Sag mir, was du gesehen hast!«
»Nichts«, sagte Andras. »Gar nichts.«
»Wenn du meiner Mutter von Paul erzählst, bringe ich dich um.«
»Wann soll ich es ihr denn erzählen, wo du mich aus eurem Haus verbannt hast?«
Elisabet bekam einen verschlagenen Blick. »Spiel mir nicht den Unschuldigen«, sagte sie. »Ich weiß, dass du in den letzten beiden Monaten keinesfalls gehofft hast, ich würde mich in dich verlieben. Mir ist klar, was zwischen dir und meiner Mutter läuft. Ich habe gesehen, wie sie dich anguckt. Ich bin nicht dumm, Andras. Auch wenn sie mir nicht alles erzählt, kenne ich sie gut genug, um sagen zu können, wenn sie einen Geliebten hat. Und du bist genau ihr Typ. Oder ich sollte besser sagen: einer ihrer Typen.«
Jetzt war Andras an der Reihe, befangen zu erröten; ich habe gesehen, wie sie dich anguckt . Und wie er sie angesehen haben musste! Wie konnte das nur irgendwem entgangen sein? Andras blickte hinunter auf den Kamin; ein silbernes Zigarettenetui lag in der Asche, das Monogramm verdunkelt. »Du weißt, dass es ihr nicht recht wäre, dich hier zu sehen«, sagte er. »Weiß sie, dass du József Hász kennst?«
»Meinst du den Spinner, der hier wohnt? Wieso, ist das irgendein berüchtigter Verbrecher?«
»Nicht so ganz«, sagte Andras. »Nur seine Partys haben einen zweifelhaften Ruf.«
»Ich habe ihn erst heute Abend kennengelernt. Er ist ein Freund von Paul, von der Beaux-Arts.«
»Und du hast Paul in Chamonix kennengelernt?«
»Ich wüsste nicht, was dich das angeht. Ich meine es ernst, Andras, du darfst meiner Mutter nichts hiervon erzählen. Sie würde mich bis an mein Lebensende in meinem Zimmer einsperren.« Elisabet zerrte an ihrer Bluse, und als sie sah, dass sie falsch geknöpft war, stieß sie einen undamenhaften Fluch aus.
»Ich werde nichts verraten«, sagte er. »Bei meiner Ehre.«
Elisabet sah ihn finster an, bezweifelte wohl seine Vertrauenswürdigkeit; doch hinter ihrem strengen Blick blitzte eine gewisse Verletzlichkeit auf, das Bewusstsein, dass Andras nun den Schlüssel zu etwas besaß, das ihr wichtig war. Andras war nicht klar, ob es Paul selbst war, den sie liebte, oder ob es einfach die Freiheit war, jenseits der wachsamen Augen ihrer Mutter ein selbstständiges Leben zu führen, doch in beiden Fällen verstand er es. Er wiederholte sein Versprechen. Ihre hochgezogenen Schultern entspannten sich ein wenig, und sie stieß einen abgehackten Seufzer aus. Dann fischte sie zwei Mäntel aus dem Berg auf dem Bett, huschte an Andras vorbei in den Flur und ging ins Vorderzimmer, wo Paul und Tibor immer noch der Scharade zuschauten.
»Es ist spät, Paul«, sagte Elisabet und warf ihm seinen Mantel auf den Schoß. »Wir gehen!«
»Es ist noch früh!«, protestierte Paul. »Komm, setz dich hin und guck den Mädchen zu!«
»Kann ich nicht. Ich muss nach Hause.«
»Komm zu mir, meine Löwin«, sagte er und griff nach ihrem Handgelenk.
»Dann gehe ich halt allein nach Hause«, sagte Elisabet und riss sich los.
Paul erhob sich vom Sofa und küsste Elisabet auf den Mund. »Störrisches Pferdchen«, sagte er. »Ich hoffe, dieser Herr war nicht grob zu dir.« Er zwinkerte Andras zu.
»Dieser Herr hat den größten Respekt vor der jungen Dame«, sagte Andras.
Elisabet verdrehte die Augen. »Schon gut«, sagte sie. »Das reicht.« Sie schlüpfte in ihren Mantel, warf Andras einen letzten warnenden Blick zu und ging zur Tür. Paul salutierte und folgte ihr.
»Na«, sagte Tibor. »Jetzt setz dich mal hin und erzähl mir, was das alles zu bedeuten hat.«
»Sie hat mich angefleht, ihrer Mutter nicht zu erzählen, dass ich sie mit diesem Kerl erwischt habe.«
»Und was hast du geantwortet?«
»Ich habe geschworen, dass ich es niemals verraten werde.«
»Nicht dass du überhaupt Gelegenheit dazu hättest.«
»Nun«, sagte Andras. »Es sieht so aus, als hätte Elisabet herausgefunden, was zwischen ihrer Mutter und mir vorgeht.«
»Ah. Das Geheimnis ist also gelüftet.«
»Das eine
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