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Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)

Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)

Titel: Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Orringer
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»Jetzt spielen wir mal richtig! Holt euch Stühle, Männer! Kommt zu uns!«
    »Das geht leider nicht«, sagte Andras. »Wir sind pleite.«
    Mit beeindruckender Geschwindigkeit teilte József die Karten aus. »Dann esst etwas«, sagte er. »Wenn ihr pleite seid, habt ihr bestimmt Hunger. Habt ihr keinen Hunger?« Er sah nicht von seinem Blatt auf. »Geht zum Büfett!«
    Auf dem Esstisch lagen eine Unmenge von Baguettes, drei Käseräder, eingelegte Gurken, Äpfel, Feigen, eine Schokoladentorte, dazu sechs Flaschen Wein.
    »Na, das ist ja ein erfreulicher Anblick«, sagte Tibor. »Freies Abendessen.«
    Sie machten sich Baguettes mit Feigen und Käse und nahmen sie mit in das große Vorderzimmer, wo sie zusahen, wie die Verrenkungskünstlerin sich zu einem Ring, einer Glocke, einem Spanischen Knoten verdrehte. Anschließend nahm sie mit einem anderen Mädchen erotische Posen ein, die von einem dritten Mädchen mit einer uralt aussehenden Kamera fotografiert wurden.
    Tibor sah fasziniert zu. »Gibt Hász oft solche Partys?«, fragte er und konnte den Blick nicht von den Mädchen abwenden, die immer wieder neue Stellungen vorführten.
    »Oft ist gar kein Ausdruck«, sagte Andras.
    »Wie viele Personen wohnen hier?«
    »Nur er.«
    Tibor pfiff durch die Zähne.
    »Und es gibt heißes Wasser im Bad.«
    »Jetzt übertreibst du aber.«
    »Nein, das stimmt. Und eine Porzellanwanne mit Löwenfüßen. Komm, ich zeig’s dir.« Andras führte Tibor durch den Flur in den hinteren Teil der Wohnung und blieb vor der Badezimmertür stehen, die gerade so weit geöffnet war, dass man einen Schimmer weißen Porzellans erkennen konnte. Aus dem Raum strahlte Kerzenlicht. Andras öffnete die Tür. An der Wand stand ein Pärchen und blinzelte in das helle Licht vom Flur. Das Haar des Mädchens war zerzaust, die oberen Knöpfe ihrer Bluse geöffnet. Es hob eine Hand gegen das Licht. Es war Elisabet Morgenstern.
    »Die Herren entschuldigen uns bitte«, sagte der Mann vor ihr auf Französisch mit starkem amerikanischen Akzent, jedes Wort alkoholschwer ausgesprochen.
    Elisabet hatte Andras auf der Stelle erkannt. »Glotz mich nicht so dämlich an, du dummer Ungar!«, sagte sie.
    Andras machte einen Schritt zurück in den Gang und zog Tibor mit sich. Der Amerikaner zwinkerte ihnen betrunken triumphierend zu und schloss die Tür.
    »Tja«, meinte Tibor. »Ich würde sagen, wir sehen uns die Keramikabteilung später noch mal an.«
    »Das wäre wohl besser.«
    »Wer war denn dieses bezaubernde Mädchen? Sie schien dich zu kennen.«
    »Das bezaubernde Mädchen war Elisabet Morgenstern.«
    » Die Elisabet? Klaras Tochter?«
    »Genau die.«
    »Und wer war der Mann?«
    »Ein verdammt mutiger Kerl, so viel steht fest.«
    »Weiß József denn, wer Elisabet ist?«, fragte Tibor. »Meinst du, die beiden kennen das Geheimnis?«
    Andras schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung. Elisabet hat ja offensichtlich ein Leben außerhalb des Hauses. Aber József hat noch nie von einer geheimen Cousine gesprochen, und das hätte er bestimmt getan, so gerne wie er tratscht.« Andras’ Schläfen begannen zu pochen, als er überlegte, was genau er gerade gesehen hatte und wie er es Klara beibringen würde.
    Sie gingen zurück zum Sofa und setzten sich, um den Gästen bei ihrer Scharade zuzusehen; ein Mädchen nahm sich Andras’ Mantel und zog ihn wie eine Kapuze über den Kopf, während sie unsichtbare Blumen pflückte. Die andere riefen ihr Titel von Filmen zu, die Andras nie gesehen hatte. Er brauchte noch ein Glas Wein und wollte gerade aufstehen, um sich eines zu holen, als Elisabets Liebhaber im Zimmer geschwankt kam; blond, breitschultrig, in teurem Merinosakko. Er stopfte sich gerade das Hemd in die Hose und glättete sein Haar, als er Andras und Tibor entdeckte. Er hob die Hand zum Gruß und setzte sich zwischen die beiden auf die Couch.
    »Wie geht es uns, meine Herren?«, fragte er in gedehntem Französisch. »Ihr habt nicht annähernd so viel Spaß wie ich, wie es aussieht.« Er klang wie die Hollywoodstars, die Slogans für Radio France sprachen. »Das Mädchen ist ein ganz schöner Feger. Ich habe sie über Weihnachten im Skiurlaub kennengelernt und bin ihr leider regelrecht verfallen.«
    »Wir wollten gerade gehen …«, begann Andras, aber der Amerikaner fiel ihm ins Wort.
    »Nein, Sir!«, rief er und legte Andras eine Hand auf die Brust. »Keiner geht! Wir bleiben die ganze Nacht!«
    Elisabet kam den Flur hinunter, schüttelte sich Wasser von der Hand. Sie

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