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Die unsichtbare Handschrift

Die unsichtbare Handschrift

Titel: Die unsichtbare Handschrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Johannson
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wünscht. Gehen wir!« Das Viertel einer Stunde, um mehr ging es nicht, hoffte er. Wenn in dieser Zeit nur kein Kunde oder einer der anderen Schreiber auftauchte. Diese Änderung des Ablaufs behagte ihm nicht, nein, sie behagte ihm ganz und gar nicht.

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    Lübeck, 18 . April 1226  – Esther
    W as hat Reinhardt mit diesem Widerling zu schaffen?«
    »Sein Name ist Felding«, korrigierte Vitus sie grinsend.
    Sie ging nicht darauf ein, ihr war nicht nach Scherzen zumute. »Und was hat der an dem Brunnen getrieben?« Esthers Freude und Erleichterung waren wie weggeblasen. Da war eine große Enttäuschung darüber, dass Reinhardt, wie es aussah, tatsächlich ihr Vertrauen missbraucht hatte. Wie konnte er ihr das nur antun? Jetzt war Felding mit Marold fort, und Reinhardt hockte noch immer im Skriptorium. Das konnte nur eines heißen – er war in alles eingeweiht und wartete auf den Boten. »Ich verstehe das alles nicht«, sagte sie und seufzte. Vitus streichelte ihr beruhigend über die Wange. »Wenn Reinhardt und Felding das Vorhaben schon ausgeheckt haben, bevor er mich verraten hat, hätte Felding von mir doch keine Abschrift mehr zu verlangen brauchen. Wozu? Reinhardt ist ein Schreiber, er hätte das für ihn erledigen können.« Ihr fiel etwas ein. »Nicht einmal der weiß, dass auch ich des Schreibens mächtig bin. Es ist einfach absurd, mir diesen Auftrag aufzuhalsen.«
    »Nach allem, was du berichtet hast, hatte Felding das auch nicht von Anfang an im Sinn.«
    »Ja«, sagte sie leise, »du hast recht.« Es war alles so verwirrend. »Oder wusste Reinhardt vielleicht nur von Feldings Plan und hat mich bloß verraten, um sich einen Vorteil zu verschaffen? Womöglich musste er gar kein gefährliches Schreiben aufsetzen, sondern soll jetzt nur die Abholung überwachen und wird dafür noch reich belohnt.«
    »Ich kann dir deine Fragen nicht beantworten. Das kann nur einer.«
    »Reinhardt.«
    »Genau. Gehen wir hinein und stellen ihn zur Rede.«
    Sie spürte, wie sich ihre Brust zuschnürte, als läge ein eisernes Band darum.
    »Gibt es denn keinen anderen Weg?«
    Vitus schüttelte den Kopf. »Nein, den gibt es nicht. Du musst mit ihm reden. Noch viel wichtiger ist jedoch, dass der Bote dein Schriftstück an sich nimmt, versiegelt und damit fortreitet. Wir müssen dafür sorgen, dass das geschieht und Reinhardt es nicht womöglich verhindert.«
    »Du meinst … Aber wozu?«
    »Ich weiß es nicht, Esther. Ich weiß überhaupt nicht mehr, wer in dieser Posse auf welcher Seite steht, wer mit wem unter einer Decke steckt und wer welche Interessen hat. Wir werden das herausfinden. Komm!«
     
    Froh, dass Vitus vorging, folgte sie ihm über die Depenau und in das Skriptorium. Sobald sie den düsteren Raum zum zweiten Mal an diesem Tag betreten hatte, spürte sie den Wunsch, selbst mit dem Schreiber, der ihr stets wie ein Onkel gewesen war, zu sprechen. Das konnte Vitus ihr nicht abnehmen.
    »Ich grüße dich, Reinhardt«, sagte sie beklommen. Er saß auf einem Hocker an die Wand gelehnt, was eine äußerst eigenartige Haltung war, wie sie fand. Zudem trug er anscheinend ein Tuch um den Hals. Genau konnte sie das bei dem schummrigen Licht nicht sagen. Er antwortete ihr nicht einmal. Ob er ein schlechtes Gewissen hatte? Er würde ja wohl kaum eingenickt sein, nachdem sein Besucher eben erst die Werkstatt verlassen hatte. Dennoch, er rührte sich nicht einen Deut. Sie machte einen Schritt auf ihn zu.
    »Stehen bleiben!«, rief Vitus in dem Moment und verstellte ihr mit einem Satz den Weg.
    »Was um alles in der Welt …?« Der Druck auf ihrer Brust wurde stärker, sie konnte kaum mehr atmen. Ein scheußliches Gefühl beschlich sie. Irgendetwas war hier nicht in Ordnung. Nein, irgendetwas war ganz und gar nicht in Ordnung.
    »Er ist tot«, hörte sie Vitus sagen, der ihr den Rücken zugedreht und sich über Reinhardt gebeugt hatte. »Dieses Schwein hat ihm die Kehle durchgeschnitten.«
    Das konnte doch nicht wahr sein. Hilflos machte sie einen weiteren Schritt, als ob sie den beiden Männern auf die Schliche kommen, sie dazu bringen wollte, zuzugeben, dass sie einen Scherz mit ihr trieben.
    »Bleib, wo du bist«, verlangte er mit sanfter Stimme. »Es ist besser, du siehst dir das hier nicht so genau an, sonst trägst du es nur für den Rest deines Lebens mit dir herum.«
    Während ganz langsam die Erkenntnis in ihr Bewusstsein drang, dass niemand einen Scherz machte, dass Reinhardt mausetot war, wandte sie sich dessen

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