Die unsichtbare Handschrift
dem Domherrn Marold bringt, der es wiederum an die Gesandtschaft übergibt, die nach Parma reitet. Selbst eine Närrin muss durchschauen, dass da jemand etwas im Schilde führt. Und Ihr seid gewiss keine Närrin.«
Sie nickte langsam. Bevor sie ihre nächste Frage stellen konnte, bekam sie von ihm die Antwort darauf. »Alles, was Reinhardt über mich behauptet, streite ich ab. Felding hält keine großen Stücke auf ihn. Es wird nicht schwer sein, ihn für mich einzunehmen. Zumal er vorsichtiger sein wird, sobald er weiß, dass Ihr ihm misstraut.«
»Ihr sorgt also selbst dafür, dass die richtige Fassung in die richtigen Hände kommt.«
»Jawohl, erlauchte Gräfin. Bleibt hier, bis Ihr seht, wie wir das Skriptorium und die Depenau verlassen. Daraufhin könnt auch Ihr aus der Deckung kommen und zurück zum Haus des Bischofs gehen. Dort treffen wir uns wieder.«
Das Knarzen einer Tür zog ihre Aufmerksamkeit auf sich.
Magnus war augenblicklich wieder auf seinem Posten. »Felding! Was treibt er da am Brunnen? Irgendetwas hat er aus seinem Ärmel gezogen. Verdammt, ich … Verzeiht meine unflätige Sprache. Es ist nur, ich kann einfach nicht erkennen, was das ist.«
»So ein verdammter Mist«, sagte sie leise. Es war der einzige Moment, in dem er die Gasse und die Schreibwerkstatt aus den Augen ließ und sie verstört anstarrte. Fast hätte sie laut gelacht, doch sie riss sich zusammen und lächelte ihn an. »Nein, es ist ja wahr, so deutliche Worte zum rechten Zeitpunkt können höchst befreiend sein.«
Offenkundig wusste er darauf nichts zu erwidern. In seinem Antlitz konnte sie jedoch lesen, dass er sie von diesem Moment an nicht mehr als seine Herrin, sondern als Komplizin betrachtete.
»Hoffentlich verschwindet er gleich, dann gehe ich hinein.« Noch immer lag ein Schmunzeln auf seinen trockenen Lippen.
»Seht nur! Das ist der Domherr Marold!«
»Was will der hier? Herrje, es wird immer komplizierter.«
Mit angehaltenem Atem beobachteten sie, wie die beiden redeten. Oder stritten sie gar? Viel zu verstehen war nicht. Es dauerte nicht lange, da machte sich Marold auch schon davon. Nach wenigen Schritten hielt er jedoch inne und kehrte zurück. Wieder wechselten sie Worte, danach verschwanden sie gemeinsam. Sogleich machte Magnus Anstalten, endlich nach dem Rechten zu sehen.
»Soll ich Euch nicht besser begleiten?«
»Nein, ich gehe allein«, bestimmte er. »Das darf doch nicht …« Kaum dass Felding und Marold außer Sichtweite waren, kamen Esther und Vitus aus ihrem Versteck hervor und hielten geradewegs auf das Skriptorium zu.
Seine Augen funkelten abenteuerlustig.
»Die beiden Ahnungslosen kennen mich nicht. Ich jedoch weiß genau, was sie im Schilde führen. Das wird ein Spaß!«
»Seid bloß vorsichtig, Magnus! Ihr wisst, was Mechthild gesagt hat.«
»Das Tintenweib macht mir keine Angst. Außerdem drängt die Zeit. Mir bleibt gar nichts anderes übrig, als jetzt auf der Stelle hineinzugehen. Ich sehe Euch im Haus des Bischofs.«
Damit huschte er über die Gasse wie ein Schatten.
[home]
Lübeck, 18 . April 1226 – Magnus
E r betrat das schäbige Querhaus. Es dauerte einen Wimpernschlag, bis seine Augen sich an das wenige Licht gewöhnt hatten. Zu seiner grenzenlosen Verblüffung fand er die drei nicht im Gespräch beieinander. Er hatte erwartet, dass Esther den älteren Schreiber, den sie lange und gut kannte, überreden würde, ihre Fassung an den Boten des Kaisers zu übergeben. Stattdessen stand sie wie vom Donner gerührt, ein Pergament in der Hand, an Reinhardts Pult. Der hockte regungslos auf einem Schemel, von Esthers Geliebtem halb verdeckt.
»Was hat das zu bedeuten?«, fragte er die beiden in einem sehr strengen Ton, der seine Überraschung verbarg.
Esther starrte ihn mit offenem Mund an. Ihr Gesichtsausdruck war vollkommen leer. Nein, das traf es nicht ganz, denn in ihre Augen trat ein Anflug von Erkennen.
»Es bedeutet beileibe nicht das, was es zu bedeuten dünkt.«
Der Mann, dem Esthers Herz gehörte, hatte tiefschwarzes Haar, das ihm bis auf die Schultern fiel. Eine Strähne hing ihm quer über Nase und Mund, und er strich sie eilig beiseite. Eine hastige Geste, die nicht zu den langsam und offenkundig sorgsam gewählten Worten passen wollte.
»Erlaubt, dass ich mich Euch vorstelle. Mein Name ist Vitus Alardus, Englandfahrer und Getreidehändler.« Er verneigte sich formvollendet. Magnus’ Augen passten sich an das Dämmerlicht an und erkannten, dass Reinhardt
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