Die unsichtbare Handschrift
sehr missbräuchlichen und belastenden Abgabe, die, wie es heißt, die Leute von Köln und Tiel und deren Genossen gegen sie ausgeheckt haben, und tilgen diesen Missbrauch gänzlich; vielmehr sollen sie nach Recht und Stand leben wie die Leute von Köln und Tiel und deren Genossen.«
Marold nickte zustimmend. »So ist es recht. Es wäre ja wohl noch schöner, wenn die Königin Lübeck sich vor den Kölnern beugen würde. Zwar sind sie unsere Verbündeten, doch sollten sie nie vergessen, wo ihr Platz ist. Dass sie den Englandhandel am liebsten für sich allein beanspruchen würden, ist mir schon lange ein Dorn im Auge.« Er ließ sie an anderer Stelle noch Heinrich den Löwen erwähnen, dann war er zufrieden, wartete einen Moment, bis die Tinte ganz trocken war, rollte schließlich das Schriftstück auf und schob es in ein langes Futteral. Über die Öffnung legte er zwei gekreuzte Pergamentstreifen, an deren Enden sein Siegel hing. Er erhitzte eine Wachsstange an der Feuerstelle in der Ecke des Raums und träufelte Tropfen davon nahe der Öffnung über das Futteral und die Pergamentstreifen, bis das Wachs einen großen runden Klecks bildete. Ganz behutsam hielt er die kostbare Fracht, so dass die heiße, noch flüssige Masse nicht verlief, und presste schließlich den Stempel mit seinem Wappen hinein. Es dampfte und roch nach heißem Metall.
Als Esther wenig später an der Tür des Kontors stand, um sich von Marold zu verabschieden, konnte sie noch immer nicht glauben, was gerade geschehen war. Ihre Knie fühlten sich weich an, als könnten sie ihren Körper unmöglich tragen, ihr Herz hüpfte, als wollte es augenblicklich zerspringen. Sie hätte laut jubilieren mögen, doch musste sie sich natürlich zusammennehmen.
»Bevor Ihr geht, ist da noch etwas, das ich Euch sagen muss.«
»Ja?«
»Ihr könnt schreiben, das dürfte nicht sein. Ihr solltet es in Zukunft unbedingt wieder halten, wie Ihr es bisher stets gehalten habt, denn seht Ihr, da Ihr keine Nonne seid, würde es Euch der Bischof nicht durchgehen lassen, dass Ihr Euch diese Kunst angeeignet habt. Sorgt also streng dafür, dass niemand mehr davon erfährt.«
»Dessen könnt Ihr ganz sicher sein.«
»Ihr müsst verstehen, dass ich Euch nicht gänzlich ohne Strafe davonkommen lassen kann.«
Ihr wurde bang ums Herz.
»Wir Mitglieder des Domkapitels unterliegen nicht der städtischen Gerichtsbarkeit, der Bischof und unsere eigenen Männer sind für die Vergehen zuständig, die sich hinter unseren Mauern abspielen. Euch habe ich gewissermaßen hier im Domkapitel überführt. Also muss ich Euch auch bestrafen. Um ehrlich zu sein, ist es mir in gewisser Weise auch ein Bedürfnis. Immerhin habt Ihr meine Handschrift erlernt, um Euch, wenn auch nur in schriftlicher Form, als meine Person auszugeben. Was hättet Ihr alles anfangen können mit Euren Fähigkeiten? Ich mag gar nicht daran denken und will Euch die Lust, meine Schrift später noch einmal zu verwenden, gehörig versauern. Ich verlange von Euch, dass Ihr im Johanniskloster Buße tut. Ein volles Jahr sollt Ihr den Nonnen bei allem zur Hand gehen, was die frommen Frauen zu tun haben. Ihr werdet Euch nicht zieren, selbst dann nicht, wenn es niederste Arbeiten sind. Habt Ihr mich verstanden?«
»Natürlich, Herr, es ist eine gerechte Strafe.« Es hätte ihr wahrlich an den Kragen gehen können. Da war ein Jahr, in dem sie im Kloster würde arbeiten müssen, ein mildes Urteil. Dennoch schnürte es ihr die Kehle zu. »Wenn Ihr mich aber bestraft, dann wird ein jeder erfahren, wofür das geschehen ist.«
»Ja, ein jeder wird erfahren, dass Ihr eine Tinte gemacht habt, die wie durch Hexenkunst von alleine verschwindet. Es war eine Dreistigkeit sondergleichen, mir diese verkaufen zu wollen. Das seht Ihr wohl hoffentlich ein?«
»Wie kann ich Euch nur danken?«
»Lernt diese Lektion, Esther aus Schleswig: Wählt in Zukunft stets den rechten und geraden Weg. Glaubt nicht, ein verschlungener Pfad brächte Euch besser zum Ziel. Das ist nicht der Fall, er bringt nur heilloses Durcheinander und Unglück. Wenn Ihr das stets beherzigt und Euch im Kloster tüchtig und gehorsam anstellt, soll es damit genug sein.«
Während er sprach, hatte sie den Verdacht, er wolle diese Lektion mehr sich selbst einbleuen als ihr.
Als Esther das Kontor verlassen hatte, fühlte sie sich leicht und glücklich wie lange nicht. Ihre Füße hätten eigentlich schmerzen müssen, denn ohne Trippen spürte sie jeden Stein, jedes
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