Die unsichtbare Handschrift
Ihr wohl eher meinen Bruder antreffen. Nur leider ist er auch heute nicht hier, wie Ihr seht.«
»Ich bedaure das nicht sehr. Wenn ich auch als Kaufmann hier bin, der ein Geschäft abschließen will, so bin ich doch auch ein Mensch. Ein Mann, wenn man es genau nimmt. Und als solcher bin ich nicht etwa blind für die Reize einer schönen Frau.«
Esther begann sich unbehaglich zu fühlen. Sein Charme in allen Ehren, doch dieser konnte auch leicht in Schamlosigkeit umschlagen. Sie musste vor ihm auf der Hut sein.
»Verzeiht, werter Kaufmann Felding«, begann sie vorsichtig. Sie wollte ihn keinesfalls vor den Kopf stoßen, sonst wäre das verlockende Geschäft womöglich futsch. »Ihr schmeichelt mir sehr. Glaubt bitte nicht, dass mir das nicht gefällt.«
Sein Ton, eben noch sanft und ein wenig singend, war plötzlich sachlich. »Ich schmeichle Euch nicht einfach, ich mache Euch den Hof. Ihr seid doch nicht verlobt, nehme ich an. Und eine bessere Partie als mich dürftet Ihr Euch als mittellose Schwester eines kleinen Schreibers kaum angeln können. Ich streiche nicht gerne um eine Sache herum wie der Kater um den dampfenden Brei.« Er sah sie an, als hätte er sie gerade darum gebeten, ihm eine Tinte zu mischen, und erwarte nun ihre Antwort. Esther schnappte nach Luft. Was dieser Kerl sich herausnahm! Und sie hatte ihn wahrhaft für einen Ehrenmann mit besten Manieren gehalten.
»Wenn ich auch nicht verlobt bin, so bin ich doch nicht frei«, gab sie zurück. »Mein Herz gehört schon einem anderen.« Um ihn nicht allzu dumm dastehen zu lassen, fügte sie süß hinzu: »Doch habt Dank für Euer großmütiges Angebot. Gäbe es diesen anderen nicht, ich hätte gern darüber nachgedacht.«
Er legte den Kopf schief und beäugte sie. Sonderlich enttäuscht wirkte er nicht.
»Was nun das Dokument angeht, das Ihr benötigt …«, wechselte sie das Thema.
Er ging nicht darauf ein. »Nein, lasst uns ein wenig über diesen Mann plaudern, für den Ihr im Begriff seid, eine große Dummheit zu begehen.«
»Ich verstehe nicht.«
»Tut Ihr das aus Liebe? Ich frage nur, weil mir dieses so häufig besungene und in schwülstigster Dichtung gelobte Gefühl nicht bekannt ist. Das ist mir übrigens ganz recht so, denn ich würde es nicht schätzen, wenn etwas so stark wäre, dass es meine Gedanken gänzlich durcheinanderbringen könnte.«
»Verzeiht, verehrter Kaufmann Felding, ich habe wirklich keine Ahnung, was Ihr im Sinn habt.«
»Die Frage ist doch, was Ihr im Sinn habt, schöne Frau. Liebt Ihr diesen Mann so arg, dass es Euch den Geist vernebelt hat? Oder seid Ihr einfach ein geiles Frauenzimmer, das sich durch die Fälschung eines Dokuments fleischliche Gefälligkeiten erschleichen will?«
Esther ließ sich auf einen Schemel fallen. Ihr war übel.
»Wie ich hörte, gibt es durchaus einiges, womit ein Mann eine Frau beglücken kann, ohne dass ihr bald darauf der Leib schwillt.«
»Was erlaubt Ihr Euch?«, flüsterte sie tonlos. In ihrem Kopf wiederholte sie ständig drei Worte: Fälschung eines Dokuments. Wie konnte er davon wissen? Oder hatte sie irgendetwas falsch verstanden? Nur, was war da schon falsch zu verstehen?
»Ich komme aus Köln. Hatte ich das schon erwähnt? Man hat mir zugetragen, dass Ihr etwas niederschreiben lassen wollt, das uns Kölnern gar nicht gut gefallen würde.« Er schüttelte den Kopf. »Schade, Ihr seid eine hübsche Person, nur leider nicht klug. Euch mit mir und allen übrigen Kölnern anzulegen ist alles andere als gescheit.«
Sie blickte ins Leere und wusste nicht, was sie sagen sollte.
»Ich will Euch zugutehalten, dass Ihr dieses Vorhaben ausgeheckt habt, als Ihr mich noch nicht kanntet.« Er baute sich vor ihr auf. »Die Sache ist dennoch die, dass der werte Domherr Marold mich, wie ich Euch sagte, gebeten hat, jenes Schreiben aufzusetzen, das Ihr fälschen lassen wollt. Seht es einmal so: Über die Nachteile hinaus, die Ihr mir als Kölner zumuten wollt, würdet Ihr auch noch dafür sorgen, dass ich bei Marold in Missgunst falle. Ihr werdet begreifen, dass ich das nicht zulassen kann.«
»Gewiss nicht.«
»Eben. Selbst wenn Ihr nur ein törichtes Weibsbild seid, werdet Ihr des Weiteren zu der Einsicht gelangen, wie unmöglich es für mich ist, mich ausschließlich auf Euer Wort zu verlassen. Ich muss ganz sicher sein, dass Euer Bruder, der es wohl ist, den Ihr zu Eurem Werkzeug zu machen gedenkt, nicht doch noch das für Marold aufgesetzte Pergament gegen seines austauscht.
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