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Die unsichtbare Handschrift

Die unsichtbare Handschrift

Titel: Die unsichtbare Handschrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Johannson
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Sie senkte den Kopf, weil sie Angst hatte, er könne ihre Unehrlichkeit in ihrem Gesicht lesen.
    »Euer Vitus wird das auch einsehen, wenn sein Blut sich ein wenig beruhigt hat. Würde er Euch nicht von Herzen lieben, wäre er erst gar nicht so aufgebracht gewesen.«
    »Das mag wohl sein.« Sie seufzte. »Nur glaube ich nicht, dass er sich besinnt und noch einmal mit mir spricht. Schon möglich, dass er nach wenigen Schritten durch den Regen kehrtgemacht hat und in die Schreibstube zurückgekommen ist. Bloß hat er mich dann nicht mehr angetroffen, denn ich bin ja auf und davon gelaufen.«
    Er betrachtete sie eine Weile schweigend, dann sagte er: »Ihr habt also gestritten. Nun schön, das ist nicht gerade erfreulich, das gebe ich zu. Aber seht es doch einmal so: Ihr habt wenigstens jemanden, mit dem Ihr streiten und Euch gewiss auch wieder versöhnen könnt. Ihr habt zwei gesunde Beine, die es Euch ermöglichen, fortzulaufen an einen Ort, an dem Ihr nachdenken oder mit jemandem reden könnt.«
    Sie sah ihn mit großen Augen an. Was sollte daran wohl tröstlich sein?
    »Ich zeige Euch etwas.« Er stand auf. »Kommt!«
    Esther erhob sich und folgte ihm langsam in die Kammer, in die er zuvor den Eimer Wasser gebracht hatte. Es war dunkel, nur eine Öllampe in einer Ecke spendete einen zarten Schein, und durch die Ritzen des geschlossenen Fensterladens drang der letzte schwache Schimmer des ohnehin grauen Tageslichts hinein. Der Geruch von feuchtem Stroh lag in der Luft und mischte sich mit üblem Wundgestank. Norwids Schwester Bille lag auf einem Lager aus Stroh. Unter der Wolldecke schaute das gebrochene Bein hervor. Jemand hatte eine lange Holzleiste daran gebunden, damit der Knochen wenigstens annähernd gerade zusammenwuchs. Esther gewöhnte sich allmählich an das Halbdunkel. Sie sah den Müller an der Bettstatt seiner Tochter sitzen.
    »Ich grüße Euch«, sagte sie und zwang sich zu einem Lächeln, das ihr beim Anblick von Billes Gesicht jedoch augenblicklich entglitt. Man hatte ihr das verletzte Auge zugenäht. Die Wunde, die der Graf ihr zugefügt haben mochte, war offenkundig groß gewesen. Sie einfach zu schließen schien Esther nicht der beste Einfall zu sein. Das Auge nässte stark, an den Rändern hatte sich eine blutig-eitrige Kruste gebildet.
    »Was hat man Euch nur angetan?« Sie kniete neben dem Krankenlager nieder. »Ich bin Esther. Ich habe zusammen mit Eurem Bruder den kleinen Petter aus der Trave gefischt.«
    Bille drehte den Kopf zur Seite, um sie mit dem gesunden Auge ansehen zu können.
    »Wie nett, dass Ihr uns besucht. Norwid hat mir von dem Tag erzählt. Er hat voller Bewunderung von Euch gesprochen.« Ihr Mund verzog sich zu einem Lächeln. Sie wirkte erstaunlich munter, ihre Stimme klang beinahe fröhlich und stand in einem merkwürdigen Gegensatz zu dem Anblick, den das junge Geschöpf bot.
    »Hat sich ein Arzt Eure Wunde angesehen?«, wollte Esther wissen, obwohl sie sich die Antwort denken konnte.
    »Für einen Medicus haben wir kein Geld«, sagte der Müller und richtete sich schwerfällig auf. »Ich gehe wieder an die Arbeit. Du bleibst eine Weile bei ihr, ja, Norwid?«
    »Ja, Vater.«
    Der Müller nickte Esther zu und ging. Er wirkte müde. Zwischen seiner Arbeit und der Pflege seiner Tochter blieb ihm anscheinend kaum Zeit zum Schlafen.
    »Ein Zahnbrecher auf dem Weg nach Lübeck hat ihre Verletzungen versorgt«, erklärte Norwid. »Wir beten täglich zum heiligen Quirin, dass er ihr kaputtes Bein heilen und das Eitergeschwür von ihr nehmen soll.«
    »Die beiden beten so inbrünstig, dass ich kaum in den Schlaf finde«, sagte Bille und lachte leise. »Wenn das nicht hilft, bin ich verloren.«
    Esther sah Norwids Augen schimmern. Er setzte sich auf einen kleinen Schemel, den sein Vater frei gemacht hatte.
    »Es wird helfen. Ihr müsst nur daran glauben«, sagte sie und fühlte sich elend. Aber was hätte sie sagen können? Dass dieses Auge mehr brauchte als Gebete? Dass man schon oft von Wunden gehört hatte, die so schlimm eiterten, dass dies das Ende bedeutete? Es würde Norwid nur noch trauriger machen und Bille ihren Lebensmut rauben, den sie zu Esthers unermesslichem Erstaunen bewahrt zu haben schien. Und wäre es nicht auch Blasphemie? Wenn Gott und die Heiligen nicht helfen konnten, wer dann?
    »Ja, es wird helfen«, sagte auch Norwid und strich ihr eine feuchte Strähne von der schweißglänzenden Stirn. Sie hatte Fieber. Vielleicht war sie darum so gelöst, so beinahe

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