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Die unsichtbare Handschrift

Die unsichtbare Handschrift

Titel: Die unsichtbare Handschrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Johannson
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aufgekratzt, vielleicht war sie in einer Art Fieberwahn.
    »Wenn nicht, ist dieser Unmensch verloren«, setzte er zornig hinzu. »Ich schwöre, wenn du nicht gesund wirst, werde ich seine Tochter genauso zurichten. Und ihn werde ich dabei zusehen lassen.«
    »Mir hilfst du damit nicht, Bruderherz. Und die Tochter des Grafen kann doch nichts für die Greueltaten ihres Vaters.« Ihre Stimme wurde leiser. »Ich bin erschöpft. Nachts kann ich nicht schlafen, weil ihr betet oder schnarcht, und am Tage ist immer einer von euch um mich herum. Wie soll ich da wohl gesund werden, frage ich Euch?« Sie sah Esther mit dem unverletzten Auge an und grinste. Man konnte jetzt jedoch erkennen, dass die Fröhlichkeit einer lähmenden Müdigkeit wich.
    »Ihr solltet Euch ausruhen. Ich will auch für Euch beten. Noch einer mehr kann gewiss nicht schaden. Und ich bin weit fort in der Stadt. Ich kann Euren Schlaf also nicht stören.« Sie erhob sich. »Lebt wohl, Bille!«
    »Statt für mich zu beten, versprecht mir lieber, dass Ihr mich wieder besuchen werdet. Es ist furchtbar langweilig, tagaus, tagein hier zu liegen. Ein wenig Ablenkung tut mir sicher gut.«
    »Ich verspreche es.«
    Norwid führte sie hinaus. In der Stube nahm er wortlos ihren Umhang vom Haken und reichte ihn ihr.
    »Sie ist sehr tapfer«, sagte Esther, als sie ihren Umhang umlegte.
    »Wir beten zu Gott, dass sie nicht auch noch ein Kind kriegt. Das würde sie nicht überstehen.«
     
    Die Dämmerung brach bereits herein. Sie musste sich sputen, wenn sie noch die Stadt erreichen wollte, bevor man die Tore schloss. Kaspar würde sich bereits zu Tode ängstigen. Sie beschleunigte ihre Schritte. Aus dem starken Regen war ein leichtes Nieseln geworden. Es machte ihr nichts aus. Überhaupt war sie nicht mehr gar so niedergeschlagen wie vorhin, als sie blindlings aus der Stadt geflohen war. Sie hatte heute viel verloren, gewiss, aber weiß Gott nicht alles. Die Begegnung mit Bille hatte ihr vor Augen geführt, wie reich sie noch immer war. Dieser Graf von Schauenburg war der Teufel. Sie musste Lübeck mit seinen Kindern und Frauen vor ihm schützen. Felding mochte sein eigenes böses Spiel treiben, aber er war ihr Schlüssel, um den Teufel aus ihrer Stadt fernzuhalten. Und genau das würde sie tun.

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    Lübeck, 17 . April 1226  – Heilwig von der Lippe
    D er lange schwarze Mantel wehte über den Boden der Marienkirche, als sie eilig den Gang in Richtung Altar entlangschritt. Unter dem mit kostbarem Schwanenfell gefütterten Mantel, der von zwei auffälligen Silbertasseln geschmückt war und von einer Tasselschnur zusammengehalten wurde, trug sie ein dunkelrotes Kleid aus schwerer Seide. Sie blickte hinauf zu der Decke aus dunklem Holz, die sich wie ein Firmament über das Kirchenschiff und die Bänke wölbte. Vorne in der ersten Reihe saß Bischof Bertold in seine Gedanken oder ein Gebet versunken. Sie trat bis zu der Holzbank, auf der er kauerte. Als sie dort stehen blieb, verstummte das Rascheln ihrer Gewänder, und es war ganz still in dem Gotteshaus.
    Bertold blickte nicht auf. »Heilwig von der Lippe, nehme ich an? Gemahlin des Grafen von Schauenburg und Holstein?«
    »Ja, ehrwürdiger Vater, die bin ich.« Sie neigte das Haupt.
    Jetzt erst richtete er sich auf, wendete ihr den Kopf zu und blickte sie lange schweigend an. Dann erhob er sich. Er trug eine weiße Alba aus Seide, eine ebenfalls aus Seide gefertigte Stola, die reich mit Kreuzen bestickt war, und eine rote Dalmatika.
    »Der Bote hat mir Eure Nachricht gebracht. Sie ist ein wenig ungewöhnlich, meine Tochter.«
    »Ich weiß, Vater, aber es ist mir eine Herzensangelegenheit. Könnt Ihr mir helfen?« Sie hatte zwei Finger auf die Tasselschnur gelegt, eine Haltung, die sich für eine Dame ihres Standes schickte, in einer Kirche jedoch gleichermaßen unangebracht war. Heilwig wollte von vornherein deutlich machen, dass sie nicht nur als demütige Bittstellerin kam.
    »Gehen wir in meine Privatgemächer, dort lässt es sich komfortabler reden.« Schon schob er sich aus der Bank, bekreuzigte sich in Richtung des Altars und ging an ihr vorbei.
    Auch Heilwig schlug ein Kreuz und folgte ihm.
    Wenig später fand sie sich in einem prächtigen Raum wieder, dessen Wände Seidenteppiche zierten. Es gab goldene, fein geschwungene Leuchter, in denen dicke weiße Lichter steckten. Am steinernen Kamin standen vier Stühle, deren Sitzflächen prall gepolstert und mit Samt bezogen waren. Die Armlehnen aus fein poliertem

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