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Die unsichtbare Handschrift

Die unsichtbare Handschrift

Titel: Die unsichtbare Handschrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Johannson
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auch dem Herrgott eine Freude. Stellt sie Euch nur einmal vor, diese riesige Kirche, mit einem Boden aus Gotländer Stein, mit Säulen und Verzierungen.«
    »Und wie wäre es, wenn mein Gemahl, der Graf, dafür einen Passionsaltar stiftete?«
    »Der Dank der ganzen Stadt wäre ihm ebenso gewiss wie ein Platz im Himmel, meine ich.«
    »Welch ein herrlicher Lohn, Vater. Dann werde ich also zu ihm zurückkehren und ihn das Nötige in die Wege leiten lassen. Der Dom wird auch so gebaut, dafür stiftet heute ein jeder. Wir werden die Ersten sein, die für die neue Kirche St. Marien stiften«, verkündete sie feierlich. Und bei sich dachte sie: Nicht mehr lange, dann ist meinem Gemahl der Griff nach dieser Stadt verwehrt. Keinen Pfennig wird er dann für einen Altar lockermachen.
    »Und nun wünscht Ihr, nehme ich an, Eure gute alte Amme zu sehen.«
    »Ja. Wo finde ich sie?«
     
    Heilwig erschrak, als sie die kleine Gestalt mitten auf der breiten Gasse stehen sah, die nackten Füße in Morast und Unrat versunken. Sie hatte sie sofort erkannt. Sie würde zu ihr gehen und ihr einen Silbertaler geben. Mechthild stand da, eine Hand vorgestreckt, und murmelte vor sich hin. Langsam, ganz langsam ging Heilwig auf sie zu. Es schmerzte sie, ihre Amme so zu sehen, in dreckigen Lumpen, das Haar unter einer fleckigen Haube vom Kopf abstehend. Sie sah aus, als wäre sie dem Irrsinn anheimgefallen. Wen sollte das wundern? Nach allem, was sie hatte durchmachen müssen. Heilwig fühlte sich schrecklich schuldig. Sie hätte darauf bestehen müssen, Mechthild mit sich zu nehmen. Sie hätte sie beschützen müssen. Aber sie hatte Adolf vertraut.
    Noch einige Schritte lagen zwischen den beiden Frauen. Heilwig bemerkte, dass niemand der Alten ein Almosen gab. Jeder hastete an ihr vorüber oder schlenderte seines Weges. Zwei Kinder drehten ihr eine Nase, zogen Grimassen und machten sich über sie lustig. Sie konnte es ja nicht sehen. Als ein Bursche sie grob anrempelte, wurde es Heilwig zu viel. Sie ließ ihre Scheu hinter sich und näherte sich rasch. Mechthild hob den Kopf und wendete ihn in Heilwigs Richtung. Man konnte meinen, sie habe wie ein Tier ihre Witterung aufgenommen. Die trüben weißen Augen füllten sich mit Tränen. Es sah aus, als stünde Milch darin, die mit dem nächsten Wimpernschlag über ihre Wange kullern würde. Sie hatte Heilwig erkannt, ohne dass diese auch nur ein Wort gesprochen hatte. Zittrige, knochige Finger streckten sich nach ihr aus. Wie damals, als man sie auseinandergerissen hatte. Heilwig trat ganz nah zu ihr und neigte ihr Antlitz, damit Mechthild es anfassen konnte.
    »Bleibt bloß weg von der«, rief eine hübsche Magd, die einen schweren Korb die Gasse entlangschleppte. »Wenn Ihr Euch von der anfassen lasst, stinkt Ihr hinterher nach Pisse und habt die Beulenpest am Hals.«
    Heilwig wollte etwas entgegnen, doch da kam schon ein Junge gelaufen, bückte sich, hob einen Stein auf und warf ihn nach Mechthild.
    »Da, du Hexe!«, brüllte er. »Die fault, obwohl sie noch am Leben ist. Und sie ist nicht ganz richtig.« Er drehte mit dem Zeigefinger ein paar Kreise neben seinem Ohr.
    Einige Passanten lachten, auch die Magd stimmte ein.
    Ein Mann in dem teuren Gewand eines Patriziers rief: »Troll dich, Petter! Wer nicht mehr taugt als die Laus im Pelz einer Ratte, sollte sich hüten, über eine Alte zu urteilen, die in ihrem Leben unbestreitbar schon manche gute Tat getan hat.« Er schwenkte seinen Gehstock, was den Jungen namens Petter dazu veranlasste, das Weite zu suchen. Dann kam er näher, griff nach Mechthilds Hand und legte ihr einen Pfennig hinein.
    »Danke«, sagte Heilwig für die Alte, die wieder begonnen hatte unverständliches Zeug zu murmeln.
    Der Mann nickte nur und ging.
    »Komm mit mir, Mechthild«, sagte sie sanft. »Hier ist kein guter Ort für unser Wiedersehen. Weißt du noch, was du mir beigebracht hast, als ich ein kleines Mädchen war? Du hast mir gesagt, ich soll täglich ein Bad nehmen, damit ich immer am allerbesten von allen dufte.« Wann hast du das letzte Bad genommen, fragte sie sich betroffen. »Unzählige Male hast du mich gebadet, mir die Haare gewaschen und gekämmt und mir die Nägel poliert. Erlaube mir, dass ich dir jetzt zurückgebe, was du mir damals Gutes getan hast, ja?«
    Sie antwortete nicht. Aber sie ließ es zu, dass Heilwig ihren Arm nahm und sie behutsam mit sich führte.
     
    »Die wollen wir hier nicht!« Die Nonne baute sich vor Heilwig auf und stemmte die

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