Die unsichtbare Handschrift
den Münzen, die jemanden im Skriptorium reich machen und überzeugen würden, dem Boten die zweite Urkunde auszuhändigen.
Schon zweimal hatte sich die Tür zu dem Kaufmannshaus geöffnet. Magnus hatte sich dann stets weggedreht, als käme er eben die Straße herunter. Vorsichtig hatte er rasch über seine Schulter gespäht und erkennen müssen, dass es nicht Felding war, der sein Kontor verließ. Das machte ihm nichts aus. Er hatte Zeit. Die Gräfin, die für ihn noch immer Heilwig von der Lippe und auf keinen Fall Gräfin von Schauenburg und Holstein war, machte einen Besuch, wie sie ihm mitgeteilt hatte. Sie hatte es ihm nicht gesagt, aber er war sicher, dass sie die Gelegenheit, in Lübeck zu sein, nutzte, um nach ihrer Amme Mechthild Ausschau zu halten. Ihm selbst war diese Frau nie geheuer gewesen, aber Heilwig hing sehr an ihr. Sie hatte keinen Augenblick aufgehört, an Mechthild zu denken. Das hatte jedem spätestens klar sein müssen, als sie ihre Erstgeborene nach der Amme benannte, statt ihr den Namen der eigenen Mutter oder der ihres Gatten zu geben. Magnus wusste, dass man ihr eingeredet hatte, Mechthild sei tot, und er wusste auch, dass der Bischof, Heilwigs Großvater, ihr in dieser Sache reinen Wein hatte einschenken wollen, bevor er starb. Offenbar hatte er diesen Wunsch in die Tat umgesetzt. Ihm selbst war seit langem bekannt, dass das Weib nicht tot, sondern nach Lübeck gebracht worden war. Es war also nicht sonderlich schwer zu erraten, wem die Gräfin einen Besuch abstattete. Es würde ihn nicht wundern, wenn sie auf dem Rückweg drei Personen in der Kutsche wären.
Wieder öffnete sich die Tür. Felding trat auf die Gasse. Er eilte die Braunstraße hinunter auf den Hafen zu. An der Trave angelangt, bog er links ab und ging mit unvermindertem Tempo seines Weges. Es fiel Magnus leicht, sich ihm unbemerkt an die Fersen zu heften. Zwar war es lange her, dass er so etwas zum letzten Mal gemacht hatte, doch was man im Kindesalter lernte, das vergaß man nie mehr. Welch ein Vergnügen, dem Mann zu folgen, der sich in Sicherheit wähnte. Welch eine Freude, dem Schauenburger und diesem fuchsgesichtigen Kölner schon sehr bald in die Suppe spucken zu können. Die Abschrift auszustellen war nur ein Teilchen das Ganzen. Jetzt musste sie an den richtigen Mann gebracht werden. Und Felding wies ihm, ohne es zu wissen und zu wollen, den Weg.
Dieser bog in die fünfte Gasse links ein. Hier war es schon bedeutend schwerer, sich nicht erwischen zu lassen, denn viele Menschen waren hier nicht unterwegs. Doch Magnus war wie ein Geist. Seine Schritte waren nicht zu hören, nicht einmal der Stoff seines Umhangs gab auch nur das leiseste Knistern von sich. Er beobachtete, wie Felding in einem kleinen Querhaus verschwand. Blitzschnell war er heran und postierte sich nahe bei dem offenen Fenster.
»Gut, dass ich Euch alleine antreffe, Reinhardt«, hörte er Felding sagen. »Ich hatte schon befürchtet, die reizende Esther ist ebenfalls zugegen. Nicht, dass ihr Anblick mich nicht erfreut hätte, sie ist wahrlich hübsch anzusehen, aber was wir zu bereden haben, ist nicht für die Ohren eines Frauenzimmers gedacht, meine ich.«
Schritte waren zu hören. Jemand ging an das Fenster, vermutlich der Kerl, den er Reinhardt genannt hatte. Magnus tauchte in den Schutz der Hausecke, hörte, wie der Fensterladen geschlossen wurde, und kehrte augenblicklich auf seinen Posten zurück. Von dem raschen Gehen war er ein wenig aus der Puste. Er musste sich eingestehen, dass seine Kräfte erheblich schwanden, doch dieses Vorhaben war wie ein Jungbrunnen für ihn. Es war sehr lange her, dass er sich so lebendig gefühlt hatte.
Der hölzerne Sichtschutz verhinderte zwar, dass jemand in die kleine Schreiberwerkstatt spähen konnte, einen ungebetenen Zuhörer abzuwehren war er dagegen kaum in der Lage. Magnus konnte dem Gespräch leicht folgen, seine Ohren waren immerhin noch so gut wie die eines jungen Mannes.
»Die Dinge haben sich geändert, Reinhardt. Das Pergament ist noch nicht fertig. Nein, das trifft die Lage nicht exakt, das Pergament war fertig, wies jedoch einen Fehler auf.«
Magnus traute seinen Ohren nicht, für deren Zuverlässigkeit er soeben noch seine Hand ins Feuer gelegt hätte. Es war nicht lange her, dass er selbst zusammen mit Heilwig das genannte Dokument abgeliefert hatte. Und Felding hatte es angenommen. Kein Wort von einem Fehler. Sollte er das Schreiben nach ihrer Begegnung erst gründlich geprüft und
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