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Die unsichtbare Pyramide

Titel: Die unsichtbare Pyramide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Kopf. »Das kann ich nicht von Euch verlangen, Fürst…«
    Der Teguar hob gebieterisch die Hand. »Kein Wort mehr, junger Freund! Es ist beschlossene Sache. Schon morgen brechen wir auf zum Wüstenorakel Siwa.«
     
     
    Der einzige nennenswerte Unterschied zwischen Topra und einem Teguar war Golo. Das grauweiße Kamel, dessen Fell fast ebenso viele kahle wie behaarte Stellen aufwies, war den Kochtöpfen der Nomaden entkommen, vermutlich weil schon sein Anblick ihnen die Zähne hatte ausfallen lassen. Der Hengst war tatsächlich zäh, aber im besten Sinne des Wortes. Abgesehen von seinem schon irgendwie magisch anmutenden Durst stand er den Pferden an Ausdauer und Zähigkeit in nichts nach. Topra war gekleidet wie ein Teguar, ernährte sich wie ein Teguar, trug einen Teguarnamen, sprach sogar schon fast wie ein Teguar, aber sein »Wüstenschiff« gab er nicht auf. Das Hin- und Herschwanken auf Golos Rücken, für die Nomaden ein Graus, machte ihm, dem Seemann, nichts aus.
    Dreizehn Teguar – einer davon nicht echt – waren zur Durchquerung von fast drei Vierteln des Schwarzen Kontinents nach Norden aufgebrochen. Einen Gefährten hatten sie bei Verwandten zurücklassen müssen, weil ihn das Fieber schüttelte, ihn dann verließ und nach kurzer Besserung erneut niederwarf. Den Rest seiner wackeren Schar hatte Fürst Asfahan trotz allerlei Abenteuern sicher über die etwa dreitausendachthundert Meilen weite, oft unwegsame Strecke geführt. Als Stammesoberhaupt gehörte es zu seinen täglichen Pflichten, die Verantwortung für viele Menschenleben zu tragen, aber den Jungen, dem er den Namen »Schwert« gegeben hatte, hütete, unterwies und umsorgte er bald wie einen leiblichen Sohn.
    Während sie durch fruchtbare Gegenden, Sumpfgebiete, dichte Wälder und Wüsten zogen, ging Topra nicht nur in der Kultur seiner neuen Gefährten auf, er reifte auch im Hinblick auf seine besonderen Gaben. Die Begegnung mit der Löwin hatte in ihm den ohnehin schon wachen Forscherdrang noch zusätzlich belebt. Wie war es möglich, Steine und Geröll einen Hügel hinaufrutschen zu lassen?, fragte er sich. Über viele Wochen kam er dem Geheimnis näher, ohne es jedoch völlig zu ergründen. Er besaß für die Masse und den Schwerpunkt jeglicher Körper ein gewisses Gespür, das keine Berührung derselben erforderte, so viel hatte er schon früh herausgefunden, als er mit Hirsebrei zu experimentieren begann. Er konnte den zähen Schleim an der Wand einer Holzschale hinauffließen lassen, ja sogar das Gefäß auf den Kopf stellen, ohne den Inhalt zu verschütten.
    Einmal rastete die Gruppe in einem verlassenen Wüstenfort, das teilweise zerfallen war. Topra schlich eine Weile in der Ruine herum, bis er in einem leeren Zimmer mit kahlen Lehmwänden – möglicherweise die ehemalige Wachstube – einen ganz besonderen Versuch wagte. Er setzte den Fuß gegen eine senkrechte Wand und ließ den ganzen Raum in seiner Vorstellung wie einen Würfel um neunzig Grad kippen. Es dauerte eine Weile, bis er ein Gefühl dafür bekam, wie er aus dem bloßen Gedanken eine echte Handlung machen konnte, aber allmählich spürte er, wie die Schwerkraft sich verlagerte, fast so, als krieche sie vom Fußboden zur Mauer empor.
    Plötzlich stand er an der Wand.
    Jetzt wurde er übermütig. Die Decke war nicht sehr hoch. Warum nicht dort oben spazieren gehen? Schon ließ er die Kräfte, die auf seinen Körper einwirkten, weiterwandern. Wenig später hing er kopfunter in dem niedrigen Zimmer. Abgesehen von der neuen, etwas ungewohnten Perspektive hatte er jedoch keineswegs das Gefühl, etwas sei verkehrt. Sein Blut schoss ihm nicht in den Kopf, die Haare strebten nicht zum Boden, er konnte sogar springen und landete wieder normal an der Decke. Erst als er eine Münze aus der Gürteltasche nahm, sie sich auf die Handfläche legte und ihr die Kraft seiner Konzentration entzog, riss die Anxanziehung das Geldstück an sich und es fiel herab.
    »Darf ich erfahren, was du da tust, Seher Takuba?«, fragte unvermittelt eine Stimme aus der Nähe.
    Vor Schreck entglitt die Schwerkraft Topras angespanntem Geist und er folgte mit einem Aufschrei der Münze. Zum Glück war er geschickt genug, um den Sturz abzufangen. Ächzend kämpfte er sich wieder auf die Beine, klopfte sich den Staub aus den Kleidern und beklagte sich beim Störenfried.
    »Mir ist fast das Herz stehen geblieben, Asfahan!«
    Der Fürst grinste. (Topra hatte inzwischen gelernt, die Mimik der Teguar allein an der

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