Die unsichtbare Pyramide
fand. Als man die drei von der Oase aus nicht mehr sehen konnte, wickelte sich Topra aus dem blauschwarzen Teguartuch und zeigte dem Nubier das Feuermal.
Es war rührend mit anzusehen, wie dem Riesen die Knie weich wurden. Seine Lippen bebten und als seine Augen zu glänzen begannen, schloss er Topra in seine gewaltigen Arme. »Ich wusste, dass du mich eines Tages finden würdest«, schluchzte er. »Du warst schon als Neugeborenes ein Kind, wie es kein zweites gibt.«
»Sprichst du auf das blaue Glühen an?«, drang Topras Stimme aus der schraubstockartigen Umklammerung hervor. Hobnaj gab ihn erschrocken frei.
»Dann ist es wieder geschehen?«
»Seit ich mich erinnern kann, zwei Mal, zuletzt vor ungefähr zehn Monaten.«
»Er ist ein Seher und kann Steine den Berg hinaufrollen lassen«, fügte Asfahan hinzu.
»Du bist hergekommen, weil du deine Mutter suchst?«, fragte der Nubier.
Topra nickte. »Außerdem muss ich die Natur meines Wesens ergründen. Warum bin ich so anders als gewöhnliche Männer in meinem Alter, Hobnaj?«
»Eins nach dem anderen, Junge. Was deine Mutter anbelangt, habe ich eine gute und eine schlechte Nachricht für dich.«
Topra hielt den Atem an.
»Die gute ist«, fuhr der Nubier fort, »dass sie lebt. Jedenfalls tat sie das, als ich zuletzt von ihr Nachricht erhielt…«
»Ihr seid miteinander in Kontakt?«, entfuhr es Topra.
»Ja, aber dieser Briefverkehr ist sehr gefährlich. Gisa sitzt im Millionenjahrhaus in einem Kerker, und das seit nun schon über achtzehn Jahren. Mit ihrer Gesundheit…« Hobnajs Stimme brach. Er schüttelte verzweifelt den Kopf und hatte sichtlich Mühe, seine Tränen zurückzuhalten.
Topra legte ihm die Hand auf den Arm und sagte bewegt: »Du bist ihr all die Jahre treu geblieben, obwohl sie deine Herrin war.«
»Ich habe mich nie als ihr Sklave gefühlt und in der Nacht deiner Geburt schenkte sie mir die Freiheit. Sie selbst aber…« Wieder versagte dem Nubier die Stimme. Er blinzelte, um seinen tränenverhangenen Blick zu klären, und schüttelte, darüber verärgert, den Kopf.
Mit einem Mal wurde Topra klar, was wirklich in dem Mann vorging, und auch ihm wurde das Herz schwer. Leise sagte er: »Du bist in sie verliebt, nicht wahr?«
Hobnaj nickte mit hängendem Haupt. »Es war von Anfang an eine unerfüllbare Liebe. Ich hätte ihr Vater sein können!«
»Oder der meine«, flüsterte Topra. »Ich wäre stolz darauf.«
Hobnaj wischte sich mit dem Handrücken die Tränen aus den Augen und blickte den jungen Mann nun offen an. »Du magst mich verspotten, aber in der Nacht, als ich dich vor den Häschern Isfets rettete, warst du mein Sohn. Ich hätte mein Leben für dich gegeben.«
»Der ›Vater meines Herzens‹ – manchmal nenne ich den Kapitän der Tanhir so, weil es meine Gefühle für ihn ausdrückt und weil er besser für mich gesorgt hat als mein richtiger Erzeuger –, jedenfalls hat Jobax gesehen, wie du von einer Kugel getroffen ins Hafenbecken von Memphis gefallen bist. Er fürchtete tatsächlich, du könntest den unbedachten Schuss seines Matrosen nicht überlebt haben.«
»Es war nicht so schlimm, wie es ausgesehen haben mag. Ich bin zu einem anderen Schiff getaucht und habe mich heimlich ans Ufer geschlichen. In der Altstadt von Memphis gibt es ein paar Menschen, die ohne zu zögern einem vom Pharao Gejagten helfen. Nachdem meine Wunden verbunden waren und ich einige Angelegenheiten geregelt hatte, bin ich aus der Hauptstadt geflohen. Im Ausland verschaffte ich mir eine neue Identität und kehrte dann nach Baqat zurück. Die meiste Zeit verstecke ich mich hier in Siwa.«
»Warum ausgerechnet im Wüstenorakel?«
»Weil hier die Menschen seit Anbeginn der Zeit nach Antworten suchen, nicht zuletzt auch nach solchen, denen du nachjagst. Ich habe alle meine Hoffnungen darauf gesetzt, dich irgendwann hier zu treffen.«
Topra schüttelte den Kopf. »Das Ganze klingt wie ein Märchen.«
Hobnaj zeigte sein lückenloses weißes Gebiss. »Ha! Es ist alles andere als das. Ich würde sagen, es hat eher etwas mit Wahrscheinlichkeitsrechnung zu tun. Lass dich von dem altertümlichen Äußeren dieser Siedlung nicht täuschen, mein Junge. Ich unterhalte hier ein sehr fortschrittliches Kommunikationsnetz. Mit jedem Willkürmord, den die Folterknechte des Pharaos begehen, macht er sich eine ganze Sippe zu Feinden. Im Geheimen wächst so eine Opposition heran, die nur auf eine Gelegenheit wartet, der Supermacht den Dolch in den Rücken zu
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