Die unsichtbare Pyramide
linke Hand auf die sich gerade zum Hilferuf öffnenden Lippen und hielt ihm das Messer an die Kehle. Jetzt erst brachte er seinen Mund dicht an das Ohr des so fixierten Gegners und zischte: »Bei dem geringsten Versuch, die Wachen zu alarmieren, sterbt Ihr!«
Befriedigt spürte Topra, wie der sich unter ihm aufbäumende Körper kapitulierte. Ein wenig verwirrt war er allerdings von dem angenehmen Duft, der Isfet umgab. Und der mächtigste und gefürchtetste Mann der Welt winselte wie ein verängstigtes kleines Hündchen. Nun, es galt ja als hinlänglich bekannt, dass Baqats Oberschicht verzärtelt und verweichlicht war. Erstaunlich, wie weich sich dieser angeblich so diamantharte Pharao anfühlte! Außerdem war er viel schmächtiger als erwartet. Topra beugte sich zum Aristokratenohr hinab, und sein Speichel spritzte in das zur Seite gewandte Gesicht, als er die ganze in ihm aufgestaute Bitterkeit herauszischte.
»Ich komme, um mit Euch über die Blume vom Nil zu plaudern. Falls Ihr es noch nicht wisst: Sie ist heute Vormittag gestorben. An Eurer Kaltherzigkeit!«
Wieder hörte er nur das hündische Fiepen. Jämmerlich!
Allerdings war eine besser artikulierte Erwiderung auch kaum möglich, weil die gehassten Lippen nach wie vor unter seiner Hand lagen. Erst jetzt wagte er sie vorsichtig zu heben, nicht ohne vorher zu warnen: »Ein lautes Wort und Ihr könnt Ptah Gesellschaft leisten. Was sagt Ihr zu Eurer Rechtfertigung, Majestät?«
Die Antwort war für Topra in mancher Hinsicht überraschend. Er hatte die Stimme des Pharaos schon oft im Radio und Fernsehen gehört; sie klang definitiv nicht wie die jener jungen Frau, die ihm jetzt klar machte: »Ihr müsst Euch im Bett geirrt haben.«
Topras Körpermuskulatur – eben nur angespannt – wurde steinhart. Mit Mühe schaffte er es, eine Haarsträhne hinter dem Ohr der fixierten Person zu finden und prüfend zwischen seinen Fingern hindurchgleiten zu lassen. Die dunklen, seidigen Fäden wollten kein Ende nehmen. Nein, eine so ausladende Frisur hatte der Herrscher in der letzten Nachrichtensendung von Baqat TV noch nicht gehabt. »Wer seid Ihr?«, fragte Topra erstaunt.
Die rauchige, aber dennoch weiche Stimme aus den Kissen antwortete: »Mein Name ist Inukith. Wäre es zu viel verlangt, wenn Ihr mir auch den Euren verratet?«
Topra war viel zu benommen, um an die Konsequenzen allzu großer Offenheit zu denken. »Ich bin Topra«, antwortete er freiheraus.
»Etwa Gisas Sohn?«
Kraftlos ließ Topra die Hand mit dem Dolch zur Seite gleiten. Er war mehr als nur durcheinander. »Ihr kennt mich? Hat etwa der Pharao von mir gesprochen? Dann müsst Ihr eine seiner Konkubinen sein. Dies ist doch sein Bett, oder etwa nicht?«
»Das hier war bis vor kurzem noch sein Schlafgemach, aber er ist unter das Dach des Palastes gezogen, weil er sich angeblich vor Attentätern gefürchtet hat. Könnt Ihr Euch das vorstellen, Topra?«
»Ziemlich gut sogar. Dann kommt er also nur hier herunter, um sich an Eurem Körper zu berauschen?« Ohne es zu merken, hatte Topra mit seiner Äußerung einem Gefühl Ausdruck verliehen, das von dem Duft in Inukiths Haar geweckt worden war. Bis zu dieser Minute hatte er nicht einmal geahnt, dass Frauen so gut riechen konnten. Die Antwort der vermeintlichen Konkubine klang selbstbewusst, aber er entdeckte darin eine Schwermut, die ihn überraschte.
»Ich bin bereit, Euren Wissensdurst zu stillen, Gisas Sohn. Aber würdet Ihr zunächst die Liebenswürdigkeit besitzen und von mir heruntersteigen?«
»Oh!« Topra erschrak. Nicht nur der betörende Duft dieser jungen Frau war für ihn neu, sondern auch das Bewusstsein, einem weiblichen Wesen so nahe zu sein. Fast panisch sprang er von Inukith auf und verfing sich bei dem Versuch, von der Matratze zu flüchten, mit dem rechten Fuß in der Schlafdecke. Mit wild rudernden Armen kippte er über die Bettkante und krachte donnernd auf den Holzfußboden.
Inukith kicherte. »Seid Ihr immer so ungeschickt, Topra?«
»Nur, wenn es um Mädchen geht«, drang die Antwort gequält vom Boden herauf.
»Still!« Inukith lauschte. »Die Wachen haben Euch gehört. Schnell! Versteckt Euch unter dem Bett.«
Topra zögerte. War es nicht besser, der jungen Frau wieder das Messer an die Kehle zu setzen und sich mit ihr als Geisel freies Geleit zu erzwingen?
»Jetzt macht schon, sonst werden sie Euch entdecken!«, raunte Inukith.
Anstatt auf den Verstand zu hören, vertraute Topra seinem Herzen. So wenig er von der
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